Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
an der Universität war, nahm Haida sein Studium nicht wieder auf. Es kam auch nie eine Nachricht von ihm.
Wie merkwürdig das alles war. Im Grunde wiederholte Haida die Geschichte seines Vaters. Wie er ließ er sich mit etwa zwanzig Jahren von der Universität beurlauben und machte sich aus dem Staub. Als würde er in die Fußstapfen seines Vaters treten. Oder war die Episode mit dem Vater eine Fiktion gewesen? Hatte Haida sich der Gestalt des Vaters nur bedient, um etwas über sich selbst zu erzählen?
Diesmal jedoch stürzte Haidas Verschwinden ihn nicht in eine so tiefe Verwirrung wie zuvor. Es schmerzte ihn nicht, von ihm im Stich gelassen worden zu sein. Stattdessen verlieh ihm der Verlust seines Freundes eine gewisse Gelassenheit. Ein merkwürdig neutrales Gefühl der Ruhe. Er wusste nicht, weshalb, aber er hatte sogar das Gefühl, Haida habe seine, Tsukurus, Schuld und seine unreinen Vorstellungen auf sich genommen und sei damit weit fort gegangen.
Natürlich war Tsukuru traurig, dass sein Freund nicht mehr da war. Er bedauerte es sehr. Aber vielleicht war dieses Ende unvermeidlich gewesen. Zurückgelassen hatte Haida ihm seine kleine Kaffeemühle, eine halbe Tüte mit Kaffeebohnen, die drei Langspielplatten mit den Années de pèlerinage von Liszt, gespielt von Lasar Berman, und die Erinnerung an die geheimnisvolle Tiefe seiner klaren Augen.
Im Mai, einen Monat nachdem er erfahren hatte, dass Haida die Universität verlassen hatte, hatte Tsukuru zum ersten Mal eine sexuelle Beziehung zu einer echten Frau. Mittlerweile war er einundzwanzig Jahre alt. Einundzwanzig Jahre und sechs Monate. Er hatte zu Anfang des Semesters ein Praktikum als Zeichner in einem Architekturbüro begonnen. Dort hatte er die vier Jahre ältere Frau kennengelernt, die im Sekretariat arbeitete. Sie war zierlich, hatte langes Haar, große Ohren und schöne Beine. Ihr Körper wirkte kompakt und wohlproportioniert. Ihr Gesicht war eher niedlich als schön. Wenn sie über einen seiner Witze lachte, sah man ihre hübschen weißen Zähne. Sie war von Anfang an sehr freundlich zu ihm gewesen. Er spürte, dass er ihr persönlich sympathisch war. Da er mit zwei älteren Schwestern aufgewachsen war, hatte er einen natürlichen Umgang mit Frauen, die älter waren als er. Seine Kollegin war im selben Alter wie die jüngere seiner Schwestern.
Bei nächster Gelegenheit lud Tsukuru sie erst zum Essen, danach in seine Wohnung und dann kühn in sein Bett ein. Sie lehnte keine dieser Einladungen ab. Sie zögerte nicht einmal. Es war Tsukurus erste Erfahrung in dieser Hinsicht, aber alles verlief völlig reibungslos. Von Anfang bis Ende gab es keinen Moment der Unsicherheit oder Nervosität. Deshalb schien seine Partnerin zu glauben, Tsukuru sei für sein Alter sexuell ungewöhnlich erfahren, obwohl er doch in Wirklichkeit nur im Traum mit Frauen geschlafen hatte.
Tsukuru mochte sie natürlich sehr. Sie war eine bezaubernde Frau und sehr aufgeweckt. Er erwartete von ihr nicht die intellektuelle Anregung, die Haida ihm gegeben hatte, aber sie hatte eine fröhliche, ungezwungene Art, war voller Neugier, und es war ein Vergnügen, sich mit ihr zu unterhalten. Auch in erotischer Hinsicht war sie sehr aktiv. Durch das Zusammensein mit ihr lernte Tsukuru eine Menge über den weiblichen Körper.
Kochen konnte sie nicht besonders gut, aber sie machte gern sauber, und bald blitzte Tsukurus Wohnung wie nie zuvor. Sie erneuerte Vorhänge, Laken, Kissenbezüge, Handtücher, Badematte und alles Mögliche andere. Nachdem Haida verschwunden war, brachte sie wieder Farbe und Schwung in Tsukurus Leben. Doch dass Tsukuru sich ihr so eng anschloss, geschah nicht aus Leidenschaft oder weil er sie liebte. Nicht einmal, weil er sich von seiner täglichen Einsamkeit ablenken wollte. Er tat dies, um sich selbst zu beweisen, dass er nicht homosexuell war und nicht nur im Traum, sondern auch in Wirklichkeit mit einer Frau schlafen konnte. Dies war sein Hauptziel – auch wenn er es sich vielleicht selbst nicht eingestand.
Und dieses Ziel hatte er nun erreicht.
An den Wochenenden übernachtete sie bei ihm. Wie Haida bis vor Kurzem. Die beiden verbrachten viel Zeit im Bett. Manchmal hatten sie Sex bis fast zum Morgen, wobei Tsukuru sich bemühte, ausschließlich an sie und ihren Körper zu denken. Er konzentrierte sich ganz auf seine Sinne, schaltete seine Fantasie ab und verbannte alles, was nicht da war – Shiros und Kuros nackte Körper und Haidas Lippen –, in
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