Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Anzahl von Angestellten. Wenn du Genaueres über sein Konzept wissen möchtest, kannst du das leicht im Internet nachschauen. Die Firma heißt ›Beyond‹. Klingt ein bisschen nach New Age, oder?«
»›Creative-Business-Seminare‹«?
»Die Bezeichnung ist neu, aber im Grunde bietet er eine Art Selbsterfahrungskurse an«, sagte Sara. »Ein leichte improvisierte Gehirnwäsche zur Ausbildung von Firmensoldaten. Statt heiliger Schriften benutzen sie ein Handbuch, und statt Erleuchtung und Paradies versprechen sie dir eine Karriere und ein hohes Jahresgehalt. Die neue Religion im Zeitalter des Pragmatismus. Allerdings ohne mystische Elemente, alles ist konkret und logisch berechenbar. Clean und leicht verständlich. Bestimmt werden nicht wenige davon positiv bestärkt. Aber im Grunde ist es nichts anderes als die hypnotisierende Wirkung eines bequemen Denksystems. Alle Theorien und Werte, die dort propagiert werden, dienen nur diesem Ziel. Aber Akas Firma hat momentan einen sehr guten Ruf, und eine ganze Menge ortsansässige Unternehmen haben Verträge mit ihr abgeschlossen. Die Website der Firma präsentiert ein breit gefächertes Spektrum, das von Boot Camps für Nachwuchskräfte über Sommerprogramme für leitende Angestellte in Luxusresorts bis zum hochklassigen Power Coaching für Führungskräfte reicht. Die Pauschalangebote sind zumindest ganz schön. Sie führen junge Angestellte ausführlich in die Firmenetikette und den Gebrauch korrekter Sprache ein. Ich persönlich würde mich dafür bedanken, aber für ein Unternehmen ist so etwas wahrscheinlich attraktiv. Hast du damit einen Eindruck, worum es bei Akas Firma geht?«
»Ja, ungefähr«, sagte Tsukuru. »Aber um so etwas aufzuziehen, braucht man doch eine Menge Kapital. Wie ist Aka nur an eine so große Summe gekommen? Sein Vater ist Universitätsprofessor und ziemlich streng. Soweit ich weiß, ist er finanziell nicht besonders gut gestellt. Vor allem kann ich mir nicht vorstellen, dass er freiwillig in ein so abenteuerliches Geschäft investieren würde.«
»Rätselhaft, nicht wahr?«, sagte Sara. »War Akamatsu schon in der Schule ein Typ, der gern den Guru spielte?«
Tsukuru schüttelte den Kopf. »Nein, ich würde ihn eher als ruhigen Gelehrtentyp beschreiben. Er war sehr flink im Kopf, hatte eine hervorragende Auffassungsgabe und konnte auch gut reden, wenn es nötig war. Aber er spielte sich nie in den Vordergrund. Vielleicht klingt das nicht so nett, aber er war ein Typ, der gern Pläne im Verborgenen schmiedete und aus dem Hintergrund agierte. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er mit lauter Stimme andere belehrt oder mitreißende Reden schwingt.«
»Menschen ändern sich«, sagte Sara.
»Natürlich«, antwortete er. »Außerdem kann es sein, dass wir das wirklich Wichtige nicht voneinander wussten, obwohl wir so eng befreundet waren und uns alles erzählten.«
Sara sah Tsukuru einen Augenblick lang ins Gesicht. »Jedenfalls arbeiten sie beide in Nagoya. Keiner von ihnen ist je aus seiner Heimatstadt herausgekommen. Sie sind dort zur Schule gegangen und arbeiten dort. Das erinnert mich irgendwie an Die vergessene Welt von Arthur Conan Doyle. Lebt es sich denn so gut in Nagoya?«
Tsukuru wusste nicht, wie er diese Frage beantworten sollte. Sie verwirrte ihn. Unter etwas anderen Umständen hätte er Nagoya vielleicht auch niemals verlassen und nicht einmal Zweifel an dieser Entscheidung gehegt.
An dieser Stelle unterbrach Sara ihren Bericht. Sie faltete die Ausdrucke zusammen, schob sie in den Umschlag zurück und legte ihn an die Seite des Tisches. Sie nahm einen Schluck Wasser und fuhr mit ernster Stimme fort.
»Jetzt ist nur noch Shiro übrig, also Yuzuki Shirane. Leider hat sie keine Adresse.«
»Sie hat keine Adresse?«, flüsterte Tsukuru.
Warum drückte sie sich so seltsam aus? Wenn sie gesagt hätte, sie kenne die Adresse nicht, hätte er verstanden. Aber so hörte es sich unnatürlich an. Was konnte das bedeuten? Vielleicht war ihr Aufenthaltsort unbekannt? Oder sie war obdachlos?
»Es tut mir leid, aber sie ist nicht mehr unter uns«, sagte Sara.
»Was meinst du damit – nicht mehr unter uns?«
Aus irgendeinem Grund verstand er sie nicht und sah Shiro einen Moment lang in einem Space Shuttle durchs All fliegen.
»Sie ist vor sechs Jahren verstorben. Ihr Grab liegt in einem Vorort von Nagoya. Es tut mir sehr leid, dir das sagen zu müssen.«
Eine Zeit lang fehlten Tsukuru die Worte. Er spürte, wie ihn allmählich die Kraft
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