Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
so etwas nur selten vor.
Sie ging mit großen Schritten vor ihm durch den Flur. Sie klangen hart und präzise, wie die Schläge, die ein ehrlicher Schmied vom frühen Morgen an auf seinem Amboss hervorbringt. Auf dem Flur reihten sich mehrere Türen aus dickem, undurchsichtigem Glas aneinander, doch dahinter waren weder Stimmen noch andere Geräusche zu hören. Es war eine völlig andere Welt als Tsukurus Arbeitsplatz, wo unablässig Telefone klingelten, Türen aufgerissen und zugeknallt wurden und ständig jemand etwas schrie.
Verglichen mit den Ausmaßen der Etage war Akas Büro unerwartet klein und wohnlich. Es hatte einen – ebenfalls – skandinavischen Schreibtisch, eine zierliche Couchgarnitur und einen hölzernen Büroschrank. Auf dem Schreibtisch standen eine Designerlampe und ein Laptop von Apple und auf dem Schrank eine Stereoanlage von Bang & Olufsen. An der Wand hing ein großes, sehr buntes Gemälde, vermutlich vom selben Künstler wie das am Empfang. Die großen Fenster gingen zur Hauptstraße, aber man hörte keinen Lärm. Frühsommerliches Licht fiel auf den einfarbigen Teppichboden und erzeugte eine edle, dezente Atmosphäre.
Der Raum wirkte schlicht und organisch. Es gab nichts Überflüssiges darin. Jedes einzelne Möbelstück und jeder Gegenstand war kostspielig, aber im Gegensatz zum glanzvollen Ambiente des Ausstellungsraums von Lexus war hier alles verhalten und diskret. Erlesene Anonymität schien das Grundkonzept dieses Büros zu sein.
Aka erhob sich von seinem Schreibtisch, um Tsukuru zu begrüßen. Er hatte sich seit seinem zwanzigsten Lebensjahr ziemlich verändert. Er war noch immer nur eins sechzig groß, aber sein Haar war sichtlich schütterer geworden. Er hatte früher auch dünnes Haar gehabt, aber jetzt war es noch dünner und hatte sich weit hinter die Stirn zurückgezogen, sodass seine Kopfform deutlich hervortrat. Wie um den Verlust seiner Haare auszugleichen, hatte Aka sich einen Vollbart wachsen lassen, der in seiner Schwärze einen auffälligen Kontrast zu seiner schütteren Frisur bildete. Er hatte ein schmales ovales Gesicht, und die Brille mit dem feinen Goldrand stand ihm gut. Er war schlank, ohne ein überflüssiges Gramm Fett. Er trug ein weißes Hemd mit Nadelstreifen und eine braune Strickkrawatte. Die Ärmel hatte er sich bis zum Ellbogen aufgekrempelt. Dazu cremefarbene Chinos, braune Halbschuhe aus weichem Leder und keine Socken. Er war geradezu die Verkörperung eines eleganten, aber lässigen Lifestyles.
»Entschuldige, dass ich so früh bei dir hereinplatze«, sagte Tsukuru. »Aber später hast du vielleicht keine Zeit mehr.«
»Tsukuru! Ist es denn die Möglichkeit!« Aka ergriff Tsukurus Hand und schüttelte sie. Im Gegensatz zu Ao hatte er kleine weiche Hände. Auch sein Händedruck war weich, dafür jedoch herzlich und keineswegs schlaff. »Für dich habe ich doch immer Zeit. Ich freue mich, dich zu sehen.«
»Hast du nicht sehr viel zu tun?«
»Doch, natürlich, aber es ist ja meine eigene Firma, und ich habe niemanden über mir. Also kann ich über meine Zeit verfügen, wie ich es für richtig halte. Solange die Bilanz am Ende stimmt. Gut, ich bin ja nicht Gott, also kann ich nicht über die Zeit gebieten. Aber ein bisschen einrichten kann ich mich schon.«
»Wenn es geht, würde ich gern etwas Persönliches mit dir bereden«, sagte Tsukuru. »Falls du jetzt zu beschäftigt bist, kann ich auch wiederkommen, wenn es dir besser passt.«
»Mach dir wegen der Zeit keine Gedanken. Wo du dich extra herbemüht hast. Wir können hier und jetzt in Ruhe reden.«
Tsukuru setzte sich auf das schwarze Ledersofa, und Aka nahm auf einem Sessel gegenüber Platz. Zwischen ihnen stand ein kleiner ovaler Tisch mit einem schweren Aschenbecher aus Glas. Aka nahm noch einmal Tsukurus Visitenkarte zur Hand und las sie mit forschend zusammengekniffenen Augen.
»Ah, ich verstehe. Tsukuru Tazaki baut jetzt Bahnhöfe, wie er es sich immer gewünscht hat?«
»Könnte ich das nur sagen, aber leider gibt es wenig Gelegenheiten, richtig neue Bahnhöfe zu bauen«, sagte Tsukuru. »Im Stadtgebiet kann man keine ganz neuen Linien eröffnen. Also besteht meine Arbeit hauptsächlich im Umbau, in der Renovierung und Wartung bestehender Bahnhöfe. Da geht es um die Einrichtung barrierefreier Toiletten, das Anbringen von Schutzgittern, die Erweiterung der Shopping-Bereiche auf dem Bahnhofsgelände, die Koordination mit dem Betrieb anderer Bahnlinien … Es gibt jede Menge
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