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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sein. Also fasste ich den Entschluss, mich selbstständig zu machen.«
    Aka unterbrach seine Geschichte und betrachtete den neben ihm aufsteigenden violetten Rauch, als würde er fernen Erinnerungen nachhängen.
    »Noch etwas habe ich gelernt, als ich Angestellter war: Die meisten Menschen empfinden keinen besonderen Widerwillen dagegen, Befehle von anderen entgegenzunehmen und auszuführen. Es ist ihnen sogar ganz lieb. Natürlich murren sie, aber das ist nicht ernst gemeint. Sie beschweren sich bloß aus Gewohnheit. Selbstständig zu denken, Verantwortung zu tragen und Urteile zu fällen verunsichert sie nur. Also dachte ich, daraus könnte man doch ein Geschäft machen. Ganz einfach. Verstehst du?«
    Tsukuru schwieg. Seine Meinung war nicht gefragt.
    »Also habe ich eine Liste aller Dinge zusammengestellt, die ich nicht mag, die ich nicht machen will und die andere nicht machen sollen. Basierend auf dieser Liste habe ich ein Programm entworfen, mit dem man begabten Angestellten wirkungsvoll beibringen kann, Anweisungen von oben zu befolgen und systematisch zu funktionieren. Gut, ›entworfen‹ ist vielleicht etwas hoch gegriffen, denn ich habe hier und da abgekupfert. Die Ausbildung, die ich als junger Bankangestellter erhielt, hat mir sehr geholfen. Gewürzt habe ich das Ganze mit etwas Sektenpraxis und Techniken, die bei Selbsterfahrungsseminaren angewendet werden. Außerdem habe ich die Programme von Anbietern studiert, die in Amerika sehr erfolgreich sind, und jede Menge Bücher über Psychologie gelesen. Handbücher für die SS und die Marines, das konnte ich alles irgendwie gebrauchen. Nachdem ich gekündigt hatte, bin ich ein halbes Jahr lang buchstäblich in die Erstellung meines Programms eingetaucht. Es war schon immer meine Stärke, mich auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren.«
    »Außerdem hast du einen scharfen Verstand.«
    Aka grinste. »Danke. Aber das kann ich ja schlecht von mir selbst sagen.«
    Er zog wieder an seiner Zigarette und ließ die Asche in den Aschenbecher fallen. Dann hob er den Kopf und sah Tsukuru an.
    »Das Hauptziel von Sekten und Selbsterfahrungsseminaren ist es, möglichst viel Geld zu machen. Zu diesem Zweck schrecken sie auch nicht vor drastischen Maßnahmen wie Gehirnwäsche zurück. Wir tun so etwas nicht. Mit solch zwielichtigen Methoden kommt man nicht an erstklassige Unternehmen heran. Gewalt ist tabu. Man erzielt vielleicht kurzzeitig sensationelle Ergebnisse, aber die sind nicht von Dauer. Das Einbläuen von Disziplin ist wichtig, aber das Programm an sich muss wissenschaftlich, praktikabel und ausgefeilt sein. Es muss sich im Rahmen gesellschaftlicher Gepflogenheiten halten. Außerdem müssen die Resultate nachhaltig sein. Es ist nicht unser Ziel, Zombies hervorzubringen. Wir handeln im Sinne der Firma, wenn wir Arbeitskräfte heranziehen, die glauben, einen eigenen Kopf zu haben.«
    »Eine etwas zynische Weltsicht«, sagte Tsukuru.
    »So kann man es ausdrücken.«
    »Aber die Menschen, die die Kurse machen, lassen sich doch nicht alle brav Disziplin einbläuen?«
    »Natürlich nicht. Es gibt nicht wenige, die überhaupt nicht empfänglich für unser Programm sind. Diese Menschen zerfallen in zwei Kategorien. Die einen sind asozial. Auf Englisch würde man sie outcasts nennen. Sie können sich unter keinen Umständen auf eine konstruktive Haltung einlassen. Oder sie wollen sich partout nicht den Regeln einer Gruppe fügen. Mit solchen Typen verschwendet man nur seine Zeit. Die kann man nur rausschmeißen. Die andere Kategorie sind die, die wirklich mit ihrem eigenen Kopf denken. Die kann man gewähren lassen. Man sollte sie auch nicht herumkommandieren. Jedes System braucht solche ›Eliten‹. Im günstigsten Fall steigen sie irgendwann in Führungspositionen auf. Aber zwischen diesen beiden Kategorien gibt es eine Schicht willfähriger Befehlsempfänger, und die machen den größten Teil der Bevölkerung aus. Ich schätze mal, fünfundachtzig Prozent. Um es kurz zu machen: Diese fünfundachtzig Prozent bilden das Rohmaterial für mein Geschäft.«
    »Und deine Strategie geht auf.«
    Aka nickte. »Im Augenblick läuft alles nach Plan. Am Anfang hatte ich nur ein kleines Büro mit zwei oder drei Leuten, aber mittlerweile ist eine ganz stattliche Firma daraus geworden. Wir sind sogar ziemlich bekannt.«
    »Du hast also die Daten darüber, was du nicht machen willst und was nicht mit dir gemacht werden soll, analysiert und ein Geschäft gegründet. Das war der

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