Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
hübsch oder charmant. Sie schien auch nicht mehr intelligent, plapperte langweiliges Zeug und erging sich in Gemeinplätzen. Mit siebenundzwanzig heiratete sie. Ihr Mann war irgendein höherer Staatsbeamter, ein oberflächlicher Langweiler. Sie selbst merkte nicht, dass sie nicht mehr schön und bezaubernd war und niemand sich mehr für sie interessierte, und benahm sich weiter wie eine Prinzessin. Es war deprimierend.«
Ein Ober brachte die Dessertkarte, und Sara studierte sie genau. Als sie sich entschieden hatte, klappte sie die Karte zu und legte sie auf den Tisch.
»Ihre Freundinnen zogen sich allmählich von ihr zurück. Es tat ihnen weh, sie so zu sehen. Oder nein, eigentlich machte es ihnen eher Angst. Fast alle Frauen kennen diese Angst. Die Angst davor, als Frau nicht mehr attraktiv zu sein, ohne es zu merken oder akzeptieren zu können, und sich so zu benehmen wie früher und heimlich ausgelacht und gemieden zu werden. Sie hatte einfach ihren Zenit rascher überschritten als andere. Das war alles. Alle ihre Reize waren in ihrer Jugend erblüht wie ein Garten im Frühling, und als diese vorbei war, waren sie ebenso schnell wieder verblüht.«
Ein weißhaariger Ober kam an ihren Tisch, und Sara bestellte ein Zitronensoufflé. Tsukuru konnte nicht umhin, sich zu wundern, wie sie ihre schöne Figur behielt, obwohl sie ihre Desserts immer restlos aufaß.
»Bestimmt kannst du von Kuro Genaueres über Shiro erfahren«, sagte Sara. »Auch wenn ihr fünf eine so harmonische, vollkommene Gemeinschaft wart, gibt es doch Dinge, die Frauen nur untereinander besprechen. Wie Ao gesagt hat. Und die behalten die Mädchen für sich. Wir gelten zwar als schwatzhaft, aber gewisse Geheimnisse werden eisern bewahrt. Kein Mann wird je davon erfahren.«
Sie blickte eine Weile zu dem Ober hinüber, der in einiger Entfernung jemanden bediente. Sie sah aus, als bereue sie es, das Zitronensoufflé bestellt zu haben. Vielleicht wollte sie ihre Bestellung ändern. Aber sie überlegte es sich anders und sah wieder Tsukuru an.
»Habt ihr drei Jungen denn intime Gespräche geführt?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte Tsukuru.
»Worüber habt ihr dann geredet?«, fragte Sara.
Ja, worüber hatten sie damals eigentlich geredet? Er überlegte, aber es fiel ihm nichts ein. Obwohl sie doch ausführlich, ernst und offen miteinander geredet haben mussten …
»Ich weiß es nicht mehr«, sagte Tsukuru.
»Komisch«, sagte Sara und lächelte.
»Nächsten Monat kommt das Projekt, an dem ich gerade arbeite, vorläufig zum Abschluss«, sagte Tsukuru. »Wenn alles klappt, würde ich dann gern meine Reise nach Finnland machen. Mit meinem Chef habe ich schon gesprochen, der Urlaub sollte kein Problem sein.«
»Wenn du dich für einen Termin entschieden hast, kann ich dir einen Reiseplan zusammenstellen. Deinen Flug und ein Hotel für dich buchen und so was.«
»Danke«, sagte Tsukuru.
Sara nahm einen Schluck Wasser. Dann fuhr sie mit dem Finger über den Rand ihres Glases.
»Wie war denn deine Oberschulzeit?«, fragte Tsukuru.
»Ich war ein ziemlich unauffälliges junges Mädchen. Ich spielte Handball. Ich war nicht hübsch, und mit meinen Noten konnte ich auch keinen Blumentopf gewinnen.«
»Bist du da nicht etwas zu bescheiden?«
Sie schüttelte lachend den Kopf. »Bescheidenheit mag eine Zier sein, aber mir steht sie nicht. Ehrlich gesagt war ich nie eine auffällige Person. Ich glaube, das System der Schule passte auch nicht zu mir. Ich war weder ein Liebling der Lehrer noch ein Schwarm der unteren Klassen. Kein Freund war in Sicht, und ich wurde hartnäckig von Pickeln geplagt. Und ich hatte alle CD s von Wham! Ich trug langweilige weiße Baumwollunterwäsche, die meine Mutter mir kaufte. Aber ich hatte zwei sehr gute Freundinnen. Wir waren keine so verschworene Gemeinschaft wie ihr damals, aber ich konnte ihnen mein Herz ausschütten. Nur deshalb habe ich diese grässliche Teenagerzeit einigermaßen unbeschadet überstanden.«
»Siehst du deine Freundinnen noch?«
Sie nickte. »Ja, wir sind noch immer eng befreundet, aber die beiden sind inzwischen verheiratet und haben Kinder. Oft können wir uns nicht treffen, aber hin und wieder gehen wir zusammen essen und reden ununterbrochen – drei Stunden lang. Ganz offen über alles.«
Der Kellner stellte das Zitronensoufflé und den Espresso auf den Tisch. Sara aß mit Genuss. Offenbar hatte sie doch die richtige Wahl getroffen. Tsukuru blickte abwechselnd zwischen dem
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