Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
befreundet und haben uns lange nicht gesehen«, erklärte Tsukuru. »Sie erwartet bestimmt nicht, dass ich extra herkomme, um sie zu besuchen. Ich möchte an ihre Tür klopfen und plötzlich vor ihr stehen.«
»Surprise!« Olga breitete die Hände auf ihrem Schoß aus. »Das wird bestimmt lustig.«
»Ich hoffe nur, dass sie das auch findet.«
»Waren Sie damals mit ihr zusammen?«, fragte Olga.
Tsukuru schüttelte den Kopf. »Nein. Wir gehörten zur selben Clique. Aber wir waren sehr eng befreundet.«
Olga legte den Kopf schräg. »Ja, solche Freunde wie in der Schule findet man später selten. Ich habe auch noch eine Freundin aus der Zeit. Wir treffen uns noch immer viel.«
Tsukuru nickte.
»Ihre Freundin hat also einen Finnen geheiratet und ist mit ihm hierhergezogen. Wie lange haben Sie sie nicht gesehen?«
»Sechzehn Jahre.«
Olga rieb sich mit dem Zeigefinger die Schläfe. »Gut, ich versuche also herauszubekommen, wo sie sind, ohne Ihren Namen zu erwähnen. Da weiß ich eine gute Methode. Wie heißt Ihre Freundin?«
Tsukuru schrieb Kuros Namen auf den Block.
»Und in welcher Stadt sind Sie zur Schule gegangen?«
»In Nagoya«, sagte Tsukuru.
Olga ließ sich noch einmal sein Handy geben und rief die Nummer an, die auf dem Anrufbeantworter hinterlassen worden war. Nach mehrmaligem Läuten wurde abgehoben. Olga sprach in liebenswürdigem Ton auf Finnisch. Sie erklärte etwas, ihr Gegenüber fragte nach, und sie erklärte wieder etwas. Ein paar Mal fiel der Name Eri. Nach einigem Hin und Her hatte sie die andere Person offenbar überzeugt. Olga nahm ihren Kugelschreiber und notierte sich etwas. Anschließend bedankte sie sich höflich und legte auf.
»Es hat geklappt«, sagte sie.
»Das freut mich.«
»Die Familie heißt Haatainen. Edvard, so heißt der Mann, hat in Hämeenlinna nordwestlich von Helsinki ein Sommerhaus an einem See, und dort verbringt er den Sommer. Mit Eri und den Kindern natürlich.«
»Wie haben Sie das alles herausbekommen, ohne meinen Namen zu nennen?«
Olga grinste durchtrieben. »Ich habe ein bisschen geschwindelt und so getan, als wäre ich von FedEx. Wir hätten ein Päckchen für Eri aus Nagoya. Wohin ich es nachsenden solle. Ihr Mann hat es mir gesagt. Hier, die Adresse.«
Sie gab ihm das Blatt aus ihrem Notizblock. Dann ließ sie sich an der Rezeption eine einfache Karte von Südfinnland geben. Sie breitete sie aus und markierte den Ort mit Kugelschreiber.
»Hämeenlinna liegt hier. Die genaue Position des Sommerhauses schauen wir bei Google nach. Heute ist das Büro schon zu, aber morgen mache ich Ihnen einen Ausdruck.«
»Wie weit ist es nach Hämeenlinna?«
»Ungefähr hundert Kilometer. Mit dem Wagen schaffen Sie das in anderthalb Stunden. Die Autobahn führt direkt dorthin. Sie könnten auch mit dem Zug fahren, aber um zu dem Haus zu kommen, braucht man einen Wagen.«
»Ich nehme mir einen Leihwagen.«
»In Hämeenlinna gibt es eine hübsche Burg und das Geburtshaus von Sibelius, aber Sie haben ja dort etwas Wichtigeres zu erledigen. Können Sie morgen zu mir ins Büro kommen, Herr Tazaki? Ich mache um neun auf. Um die Ecke gibt es einen Autoverleih, wo ich einen Wagen für Sie buchen kann.«
»Sie sind mir wirklich eine große Hilfe«, sagte Tsukuru dankbar.
»Freunde von Sara sind auch meine Freunde«, sagte Olga und zwinkerte ihm zu. »Schön, dass Sie Eri sehen können, oder? Und ich freue mich, dass es mit der Überraschung klappt.«
»Ja, wirklich. Immerhin bin ich extra deshalb hergekommen.«
Olga zögerte ein bisschen, fragte dann aber doch. »Es geht mich zwar nichts an, aber hat es einen besonderen Grund, dass Sie von so weit her kommen, um sie zu sehen?«
»Für mich ist das sehr wichtig«, sagte Tsukuru. »Für Eri vielleicht weniger. Es ist etwas, das ich wissen muss.«
»Klingt kompliziert.«
»Es ist zu schwierig für mich, das auf Englisch zu erklären.«
»Es gibt Dinge im Leben, die sind in jeder Sprache zu schwer zu erklären.«
Tsukuru nickte. Anscheinend war es wirklich eine Eigenheit der Finnen, Lebensweisheiten zu ersinnen. Vielleicht kam das durch die langen Winter. Aber sie hatte sicher recht. Sein Problem hatte nichts mit der Sprache zu tun, in der man es erzählte.
Olga erhob sich von dem Sofa, und auch Tsukuru stand auf. Sie gaben sich die Hand.
»Gut, dann erwarte ich Sie morgen früh. Vielleicht macht Ihnen die Zeitverschiebung zu schaffen. Oder Sie können nicht schlafen, weil es so hell ist. Sie sind ja nicht daran
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