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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gewöhnt. Am besten, Sie lassen sich vom Empfang wecken.«
    Das werde er tun, sagte Tsukuru. Olga hängte sich ihre Tasche um, durchquerte wieder mit großen Schritten das Foyer und verließ das Hotel, ohne sich noch einmal umzuwenden.
    Tsukuru faltete den Zettel mit Eris Adresse und schob ihn in sein Portemonnaie. Die Straßenkarte steckte er in die Tasche. Er ging aus dem Hotel und schlenderte ziellos durch die Straßen.
    Zumindest wusste er jetzt, wo Kuro sich aufhielt. Sie war gar nicht weit von hier. Mit ihrem Mann und ihren Kindern. Ob er ihr willkommen sein würde? Vielleicht würde sie sich weigern, mit ihm zu sprechen, obwohl er eigens mit dem Flugzeug die Arktis überquert hatte, um sie zu sehen. Die Möglichkeit bestand. Ao zufolge war es Kuro gewesen, die sich in der Sache mit der Vergewaltigung als Erste auf Shiros Seite gestellt und Tsukurus Ächtung verlangt hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie zu ihm stand, nachdem Shiro ermordet worden und die Gruppe auseinandergefallen war. Ob sie ihm gegenüber kalt und gleichgültig war? Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu ihr zu gehen und sich zu vergewissern.
    Inzwischen war es nach acht Uhr abends, aber wie Olga gesagt hatte, wurde der Himmel überhaupt nicht dunkel. Eine Menge Geschäfte waren noch geöffnet, und die Leute schlenderten gemütlich durch die taghellen Straßen. Viele saßen in Bistros, tranken Bier oder Wein und plauderten. Als er durch eine alte Straße mit Kopfsteinpflaster ging, wehte ihm der Duft von gebratenem Fisch entgegen. Er erinnerte Tsukuru an den Geruch in gewissen Restaurants in Japan, in denen gebratene Makrele die Spezialität war. Er bekam Appetit und bog in eine schmale Seitengasse ein, um dem Duft zu folgen, aber er konnte nicht ausmachen, woher er kam. Je tiefer er in die Gasse hineinging, desto schwächer wurde der Geruch, und bald war er ganz verschwunden.
    Dauernd ans Essen zu denken wurde ihm lästig. Also setzte er sich in der erstbesten Pizzeria an einen Tisch im Freien und bestellte einen Eistee und eine Pizza Margherita. Er konnte fast hören, wie Sara lachte. Da machst du die ganze weite Reise nach Finnland, würde sie spotten, isst eine Pizza Margherita und fliegst wieder zurück. Doch die Pizza übertraf seine Erwartungen. Anscheinend war sie in einem Holzkohleofen gebacken worden, der Teig war dünn und knusprig und hatte eine würzige Kruste.
    Fast alle Tische der einfachen Pizzeria waren von Familien und jungen Paaren besetzt. Es gab auch eine Gruppe Studenten. Alle hielten ein Glas Wein oder ein Bier in der Hand. Viele Gäste rauchten. Soweit er sehen konnte, war er der Einzige, der schweigend seine Pizza aß und nur Eistee dazu trank. Es ging laut und lebhaft zu, aber die einzige Sprache, die er hörte, war (so nahm er jedenfalls an) Finnisch. Offenbar saßen an allen Tischen Einheimische. Er konnte niemanden entdecken, der wie ein Tourist aussah. Erst jetzt kam ihm deutlich zu Bewusstsein, dass er sich weit fort von Japan in einem fremden Land befand. Er aß ja fast immer allein, ganz gleich, wo er war. Deshalb machte ihm das nicht besonders viel aus. Aber hier war er nicht nur einfach, sondern in einem doppelten Sinn allein. Er war ein Fremder, und alle um ihn herum unterhielten sich in einer Sprache, die er nicht verstand.
    Es war eine andere Art des Alleinseins als die, die er in Japan empfand. Gar nicht so schlecht, dachte Tsukuru. Vielleicht hob doppeltes Alleinsein sich auf. Dass er als Fremder allein war, war völlig logisch. Es war nichts Merkwürdiges daran. Der Gedanke vermittelte ihm ein Gefühl vollkommener Entspannung. Er war genau am richtigen Ort. Er hob die Hand, um den Kellner zu rufen, und bestellte ein Glas Rotwein.
    Kurz nachdem man ihm den Wein serviert hatte, betrat ein alter Mann in einer abgetragenen Jacke das Lokal. Er trug einen Panamahut und hatte ein Akkordeon und einen Hund mit spitzen Ohren bei sich. Mit geübtem Griff, als würde er ein Pferd anbinden, befestigte er die Hundeleine an einer Straßenlaterne, lehnte sich dagegen und stimmte eine Art nordische Volksweise an. Sein Spiel war versiert und urwüchsig, und er sang dazu. Auf Wunsch eines Gastes gab er noch »Don’t be cruel« von Elvis Presley auf Finnisch zum Besten. Sein magerer schwarzer Hund saß dabei und schaute unbeteiligt in die Gegend, als würde er eigenen Erinnerungen nachhängen. Er bewegte nicht einmal die Ohren.
    »Es gibt Dinge im Leben, die sind in jeder Sprache zu schwer zu erklären«,

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