Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
unbefangen. Das schien überall auf der Welt gleich zu sein.
In einer ruhigen Ecke im Foyer rief er mit dem Handy, das er am Flughafen gekauft hatte, Kuros Nummer an. Ein Anrufbeantworter schaltete sich ein, und eine tiefe Männerstimme sagte etwa zwanzig Sekunden lang etwas auf Finnisch. Am Ende ertönte ein Signal, nach dem man wohl eine Nachricht hinterlassen konnte. Tsukuru legte auf, ohne etwas zu sagen. Kurz darauf rief er die Nummer noch einmal an, mit dem gleichen Ergebnis. Die Stimme gehörte wahrscheinlich Kuros Mann. Natürlich verstand Tsukuru nicht, was er sagte, aber er sprach deutlich und selbstbewusst. Die Stimme eines gesunden Mannes, der ein unbeschwertes, zufriedenes Leben führte.
Tsukuru schaltete das Handy aus und steckte es in die Tasche. Er atmete tief durch. Er hatte eine ungute Vorahnung. Vielleicht war Kuro gar nicht zu Hause. Sie hatte einen Mann und zwei kleine Kinder, und es war schon Juli. Vielleicht war sie, wie Sara gesagt hatte, mit ihrer Familie nach Mallorca in die Ferien gefahren.
Seine Uhr zeigte halb sieben an. Das Reisebüro, von dem Sara ihm erzählt hatte, war bestimmt längst geschlossen. Aber einen Versuch war es wert. Er nahm noch einmal das Handy aus der Tasche und drückte die Nummer des Büros. Wider Erwarten meldete sich eine Frauenstimme auf Finnisch.
»Spreche ich mit Frau Olga?«, fragte Tsukuru auf Englisch.
»Ja, am Apparat«, sagte die Frau in akzentfreiem Englisch.
Tsukuru nannte seinen Namen und sagte, er rufe auf Saras Empfehlung an.
»Aber ja, Herr Tazaki. Sara hat mir von Ihnen berichtet«, sagte Olga.
Er erklärte ihr die Situation. Er sei gekommen, um eine Freundin zu sehen, könne aber die finnische Ansage auf ihrem Anrufbeantworter nicht verstehen.
»Sind Sie jetzt in Ihrem Hotel, Herr Tazaki?«
»Ja«, sagte Tsukuru.
»Ich mache zu und bin in etwa dreißig Minuten bei Ihnen. Können wir uns im Foyer treffen?«
Olga war blond, trug enge Jeans und ein weißes, langärmeliges T-Shirt. Sie war etwa Ende zwanzig und ungefähr eins siebzig groß. Sie hatte ein rundes Gesicht und eine gesunde Farbe. Sie wirkte, als stamme sie aus einer reichen Bauernfamilie und sei unter dem gutmütigen Geschnatter von Gänsen aufgewachsen. Ihr Haar hatte sie hinten zusammengebunden, und über der Schulter trug sie eine schwarze Lacktasche. Wie eine Postbotin trat sie mit großen Schritten und in strammer Haltung durch den Eingang des Hotels.
Sie schüttelten sich die Hand und setzten sich nebeneinander auf das große Sofa in der Mitte des Foyers.
Sara war schon häufig in Helsinki gewesen und hatte jedes Mal mit Olga zusammengearbeitet. Sie schienen nicht nur Kolleginnen zu sein, sondern sich auch persönlich zu mögen.
»Ich habe Sara eine Weile nicht gesehen. Wie geht es ihr denn?«, fragte Olga.
Ganz gut, sie habe viel zu tun und sei ständig auf Reisen, sagte Tsukuru.
»Am Telefon sagte sie mir, Sie seien ein guter persönlicher Freund von ihr.«
Tsukuru lächelte. Ein guter persönlicher Freund, wiederholte er bei sich.
»Ich würde Ihnen sehr gern helfen. Sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
Olga sah ihm lächelnd in die Augen. Sie schien abzuschätzen, ob er als Saras Liebhaber infrage kam. Irgendwie habe ich die notwendige Punktzahl erreicht, dachte er.
»Danke.«
»Lassen Sie mich die Ansage mal hören«, sagte Olga.
Tsukuru zog sein Handy heraus und drückte Kuros Nummer, während Olga einen Notizblock und einen schlanken goldenen Kugelschreiber aus ihrer Tasche nahm und auf ihren Schoß legte. Als das Rufzeichen ertönte, reichte er Olga das Telefon. Sie lauschte mit ernster Miene und notierte rasch die notwendigen Informationen. Dann legte sie auf. Allem Anschein nach war sie sehr patent und tüchtig. Wie Sara gesagt hatte.
»Die Person auf dem Anrufbeantworter ist wahrscheinlich der Mann Ihrer Freundin«, sagte Olga. »Die Familie ist letzten Freitag in ihr Sommerhaus gefahren. Sie kommen erst Mitte August zurück. Aber er hat die Telefonnummer hinterlassen.«
»Ist das Sommerhaus weit weg?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wo es ist. Ich kann nur sagen, dass es eine finnische Telefonnummer ist. Vielleicht könnten wir anrufen, um zu erfahren, wo sie sind?«
»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar; aber ich habe eine Bitte«, sagte Tsukuru. »Ich möchte sie überraschen und deshalb am Telefon meinen Namen nicht sagen.«
Ein neugieriger Ausdruck trat auf Olgas Gesicht.
»Wir waren in der Oberschule sehr gut
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