Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
auf Englisch.
    »Nein, Japaner«, sagte Tsukuru. »Wir ähneln uns, sind aber anders.«
    Die beiden machten verständnislose Gesichter.
    »Seid ihr aus Russland?«, fragte Tsukuru.
    Die beiden schüttelten mehrmals die Köpfe.
    »Nein, aus Finnland«, sagte die Sommersprossige mit ernster Miene.
    »Seht ihr, das ist genauso«, sagte Tsukuru. »Ähnlich, aber doch anders.«
    Die beiden nickten.
    »Was machen Sie hier?«, fragte die mit den Sommersprossen. Wahrscheinlich lernten sie in der Schule Englisch und probierten es gerade an ihm aus.
    »Ich besuche eine Freundin«, sagte Tsukuru.
    »Wie lange braucht man von Japan bis hierher?«, fragte die Größere.
    »Ungefähr elf Stunden mit dem Flugzeug«, sagte Tsukuru. »In der Zeit bekommt man zweimal zu essen und sieht einen Film.«
    »Was für einen Film?«
    »Stirb langsam 12.«
    Dies schien die Mädchen zufriedenzustellen. Sie fassten sich an den Händen und rannten mit flatternden Röcken über den Marktplatz davon wie zwei Steppenläufer im Wind. Ohne eine Lebensweisheit oder eine Sentenz von sich zu geben. Erleichtert widmete Tsukuru sich wieder seinen Kirschen.
    Gegen halb zwei traf er am Sommerhaus der Familie Haatainen ein. Es war nicht so einfach zu finden gewesen, wie Olga es prophezeit hatte, denn es gab dort keine Straßen. Hätte nicht ein freundlicher alter Mann auf einem Fahrrad sich seiner angenommen, hätte er es womöglich nie gefunden.
    Der zierliche Alte, der ihn wohl ratlos, die Karte von Google in der Hand, am Straßenrand stehen gesehen hatte, kam näher. Er trug eine alte Schirmmütze und hohe Gummistiefel. Aus seinen Ohren sprossen büschelweise weiße Haare, und seine Augen waren gerötet. Er sah grimmig aus. Tsukuru zeigte ihm die Karte und erklärte, er suche das Sommerhaus der Familie Haatainen.
    »Es ist ganz in der Nähe. Ich bringe Sie hin«, sagte der alte Mann zuerst auf Deutsch, dann auf Englisch. Nachdem er sein schweres schwarzes Fahrrad an einem nahen Baum abgestellt hatte, kletterte er ohne Ankündigung auf den Beifahrersitz des Golfs. Er zeigte mit seinem knorrigen alten Finger auf einen nicht asphaltierten Weg vor ihnen, der am See entlang durch den Wald führte. Es war eher ein Trampelpfad, entstanden aus Reifenspuren. Zwischen den beiden Rinnen wucherte üppiges Gras. Bald kamen sie an eine Gabelung, an der einige mit Pinsel und Farbe beschriftete Schilder an Baumstämme genagelt waren. Auf einem stand HAATAINEN . Es zeigte nach rechts.
    Als sie eine Weile in diese Richtung gefahren waren, gelangten sie an eine Lichtung. Durch die Birken schimmerte der See. Es gab dort eine kleine Anlegestelle, an der ein einfaches, senffarbenes Plastikboot vertäut war. Wahrscheinlich diente es zum Angeln. In dem Hain stand ein hübsches Holzhaus mit einem quadratischen Schornstein aus Backsteinen auf dem Dach, neben dem ein weißer Kleinbus von Renault mit Helsinkier Nummernschild parkte.
    »Hier wohnen die Haatainens«, sagte der alte Mann ernst. Er zog seine Mütze tiefer ins Gesicht und spuckte auf den Boden, wie jemand, der hinaus in einen Schneesturm geht. Es war fester Speichel, der flog wie ein Kieselstein.
    Tsukuru bedankte sich. »Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrem Fahrrad zurück. Jetzt weiß ich ja den Weg.«
    »Nein, nicht nötig. Ich gehe zu Fuß«, sagte der Alte unwirsch. Zumindest vermutete Tsukuru, dass er das sagte. Er verstand die Sprache nicht. Vielleicht hatte er Finnisch gesprochen. Ohne sich die Zeit zu nehmen, Tsukuru auch nur die Hand zu geben, stieg er hastig aus und stapfte mit großen Schritten davon. Er drehte sich nicht einmal mehr um. Wie der Gott des Todes, nachdem er einem Verstorbenen den Weg in die Unterwelt gezeigt hat.
    Tsukuru sah ihm nach und stieg dann aus dem im Gras geparkten Golf. Er atmete tief ein. Die Luft kam ihm noch sauberer als in Helsinki vor. Beinahe künstlich. Eine Brise bewegte die Blätter der Birken, und hin und wieder klapperte es ein bisschen, wenn das Boot gegen den Anlegesteg schlug. Irgendwo rief ein Vogel. Sein durchdringender Schrei war weithin hörbar.
    Tsukuru schaute auf die Uhr. Ob sie schon mit dem Mittagessen fertig waren? Er zögerte, aber da ihm nichts Besseres einfiel, beschloss er, seinen Besuch der Familie Haatainen in Angriff zu nehmen, und schritt durch das sommerlich grüne Gras auf das Holzhaus zu. Ein Hund, der auf der Veranda seinen Mittagsschlaf hielt, stand auf und sah ihn an. Es war ein kleiner brauner Hund mit langem Fell. Er bellte ein paar Mal. Er war

Weitere Kostenlose Bücher