Die Plantage: Roman (German Edition)
auf die Spur kämen, würden ihn in einen eisernen Käfig sperren wie die Hexer in Salem, ihn vielleicht am Ende gar bei lebendigem Leibe verbrennen, den besessenen Mörder, der sich an der menschlichen Gesellschaft und an der Natur vergangen hatte! Sie würden ihn büßen lassen für seine Verbrechen und für sein Anderssein. Aber büßte er nicht schon sein Leben lang? Und wofür, was hatte er getan? Er wusste nicht, warum er sich in diese Bestie verwandelte, die solche furchtbaren Dinge tat. Was war mit ihm geschehen? Hatte es für ihn je die Chance auf ein normales Leben gegeben?
Er riss sich los vom Schattenbild seiner Sühne, ging zurück und ließ sich in den Sessel fallen. Antonia … Er hatte nur mit ihr reden wollen, er hatte nicht vorgehabt, sie anzufassen! Ach,sie konnte nicht ahnen, wie viel Beherrschung es ihn gekostet hatte, sie einfach in den Armen zu halten. Trotzdem musste sie die dunkle Bedrohung gespürt haben, die von ihm ausging. Ihr sichtlicher Widerwille traf ihn ins Herz, und plötzlich lehnte sich etwas in ihm auf gegen sein verlorenes Leben. Er wollte es nicht länger hinnehmen. Warum sollte er nicht versuchen, Antonias Zuneigung zu gewinnen? In ihrer Nähe würde er sich beruhigen, und sein gequälter Geist könnte Frieden finden. Wenn er ihr nahe sein dürfte, wenn er endlich nicht mehr allein wäre, würde alles gut werden.
Die Erinnerung an ihre Berührung weckte in ihm Empfindungen, die er nicht kannte, Empfindungen so machtvoll und aufwühlend wie die Liebe. In Wirklichkeit war es der pure Selbsterhaltungstrieb, der ihn, nachdem Einsamkeit und Verzweiflung seinen Lebenswillen langsam in die Knie zwangen, glauben ließ, er habe sich in Antonia verliebt. Das elementare Gefühl, das er für Liebe hielt, überwältigte und erschreckte ihn, so schön war es.
Antonia … Das Neue, das nie Erfahrene, das er mit ihr verband, nahm den ganzen Raum seiner Vorstellung ein. Oh, er würde sie lieben! Und er würde sie wieder verlieren. Er wusste, was geschähe, wenn er ihr näherkäme; was er mit ihr tun würde; was er immer tat. Es stand nicht in seiner Macht, sie zu schützen. Was sollte er nur tun? Vielleicht konnte Roscoe sie beschützen, so wie er auch ihn immer beschützt hatte. Vielleicht konnte er verhindern, dass ihr ein Leid geschah. Er musste ihn wiederfinden!
Ausgestreckt in seinem Sessel, sah Reed aus, als ob er schliefe, doch er schlief nicht: Er betrat den Ort in seinem Innern, wo seine Ängste und seine Zwänge lebten. Es kostete ihn große Überwindung weiterzugehen. Trotzdem ging er tiefer und tiefer in den wilden Wald seiner Seele, bis er ihn fand, den Freund mit dem Gesicht eines Engels, Oliver Roscoe, so gleichgültig in seiner traurigen Liebe. Reed wollte zu ihm, Dornenrankenzerrten an ihm, sie schnitten ihm tief ins Fleisch, rissen ihm die Haut vom Leib, bis er blutüberströmt zusammenbrach. Doch Oliver, sein lieber Oliver war bei ihm und tröstete ihn. Immer tröstete er ihn nach dem grausigen Ritual, nahm ihn in die Arme, strich ihm mit blutigen Händen durchs Haar, küsste ihn mit dem Geschmack von Blut auf den Lippen.
»Es ist vorbei, Algie, mein Liebster, alles ist wieder gut«, flüsterte er. »Ich komme nach Hause, ich komme zu dir zurück!«
Reed fuhr sich kurz über die Augen, stand auf und ging wieder zu der Gesellschaft ins Speisezimmer.
Hocksley blickte verstimmt auf seinen wohlgeordneten Schreibtisch, die gerade Rückenlehne des Stuhls zwang ihn zu einer sehr aufrechten, steifen Haltung. Er hätte zufrieden sein können. Die Geschäfte liefen gut, der Handel mit den europäischen Märkten erholte sich allmählich. Die zivilen Kommissionäre zahlten ihm für seine Baumwolle einen geringeren Preis als die Briten zu Kriegszeiten, doch er konnte nicht klagen. Nein, seine Verstimmung rührte von einem Schreiben der Bank, das ihn am Morgen erreicht hatte und aufgefaltet vor ihm lag. Fowler teilte ihm darin mit, man könne das Bankhaus Ashley & Bolton nicht daran hindern, die Produkte von Legacy auf eigene Rechnung an der Börse zu verkaufen. Seine Schwägerin Mrs. Lorimer könne auf diesem Umwege, obwohl sie aus der Handelsvereinigung ausgeschlossen sei, ihre Geschäftsinteressen dennoch wahren. Die Sache sei völlig legal, und wenn die Bank den erforderlichen Umsatz erziele, werde die Lorimer-Plantage wieder an allen Warenbörsen zugelassen.
Hocksley hatte getobt, aber natürlich konnte er gegen Gilbert Ashleys Bankhaus nichts unternehmen. Fowler riet ihm
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