Die Plantage: Roman (German Edition)
in Händen hielt, als er auf Legacy im Fieber lag. Was hatte sie mit ihm gemacht? Sollte sie ihn dazu bestimmt haben, wie der Krieger aus der Legende ein Leben zu führen, das nicht das seine war?
»Mr. Spencer«, riss Clarke ihn aus seinen Gedanken, »berührt diese Geschichte Ihr Verhältnis zu Mr. Longuinius oder hat sie mehr episodischen Charakter?«
»Es ist eine Geschichte, Sir, weiter nichts.« William nahm Longuinius Brief wieder an sich. Die Nachricht über seinen Tod hatte ihn tief getroffen. Er musste allein sein, griff schon nach seinem Stock, um zu gehen, als Clarke sagte: »Ich werde nun Mr. Longuinius’ letzten Willen verlesen, zumindest den Teil, der Sie betrifft, Mr. Spencer.«
»Mich, Sir?«, fragte William verblüfft.
Clarke blickte streng über sein Pince-nez. »Nun, es dürfte Ihnen inzwischen klar geworden sein, warum ich Sie hergebeten habe? Also lassen Sie uns bitte beginnen.«
Er nahm das eigentliche Testament zur Hand, ließ die Präliminarien aus und begann sofort mit dem Wortlaut: »Ich, Julien F. C. Longuinius, setze hiermit Antonia Bell Lorimer und William Marshall Spencer zu meinen rechtmäßigen Erben ein. Mein Vermögen soll unter den Genannten wie folgt aufgeteilt werden …« In kurzen Worten: Antonia erhielt das Barvermögen, die Bankguthaben und Aktien. Serenity Heights mit allem Grundbesitz aber wurde William hinterlassen.
Clarke legte das Dokument zur Seite. »Die Aufteilung der Vermögenswerte ist eindeutig. Haben Sie sonst Fragen zu dem Erbe, Mr. Marshall, pardon, Mr. Spencer?«
William wusste nicht, womit er gerechnet hatte, allenfalls mit einem symbolischen Zeichen ihrer Freundschaft. Aber dies?
»Ehrlich gesagt bin ich überwältigt, Sir. Ich weiß nicht, wie ich diesen Beweis seiner Wertschätzung verdient habe, und ich würde mich natürlich unglaublich darüber freuen, wäre da nicht die traurige Tatsache seines Todes.«
»Mein verehrter Herr!« Clarke lächelte geduldig. »Haben Sie eine ungefähre Vorstellung, wie viel Ihr Erbe in Zahlen ausgedrückt wert ist?«
»Nein, Sir.«
»Also unabhängig vom Wert des Objektes wird für die Bewirtschaftung des Grundbesitzes inklusive aller Einkünfte aus Pachten et cetera ein jährlicher Ertrag in Höhe von rund viertausendPfund Sterling angesetzt. Das ist, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, sehr viel Geld.«
William hielt kurz den Atem an, als ihm klar wurde, dass er ab sofort über ein Einkommen verfügte, das ihm für alle Zeit einen Lebensstil gestattete, der seine Vorstellung von Wohlstand bei Weitem übertraf. Er war ein reicher Mann!
»Können wir die Details ein andermal besprechen?«, bat er den Notar, denn er konnte nicht länger still sitzen. »Sicher haben Sie Verständnis, wenn ich mich jetzt verabschiede. Und danke, Sir!«
Er musste hinaus, unter Leute, irgendwohin, egal wohin. Er hielt eine Droschke an und hieß den Kutscher, ihn an einen belebten Ort zu bringen. Der Mann ließ ihn vor einem neuen Café in Piccadilly mit dem verheißungsvollen Namen Spices aussteigen. William trug ihm auf, eine Stunde später an derselben Stelle auf ihn zu warten.
Im Spices empfing ihn eine angenehm luftige Atmosphäre. Helles Holz, hohe Fenster, viele Kronleuchter, an den Wänden gute Kopien beliebter Genremaler. Alles wirkte frisch und unprätentiös und stand in deutlichem Kontrast zu den opulent dekorierten Restaurants und spiegelstarrenden Clubs in der City. William entschied sich für einen Platz an der Bar, gegenüber dem Eingang, mit Ausblick auf die Flaniermeile, und bestellte Kaffee, der mit Kardamom gewürzt war.
Ich werde Longuinius nie wiedersehen, aber sein Haus soll mir gehören, dachte er, von widerstreitenden Gefühlen bewegt. Longuinius hatte ihn gedrängt, in Amerika ein neues Leben zu beginnen, nun hatte er ihm Serenity Heights als neues Zuhause gegeben – nur dass es die High Hills sein sollten! Nicht weit von den schönen Gärten, die ihm jetzt gehörten, lag der Ort seiner größten Niederlage, wo seine Treue geopfert und sein Stolz bestraft wurde. Die Erinnerung daran war unerträglich. Wie sollte er dort leben, wo für ihn alles zu Ende ging? Und gab es nicht zuvor noch eine Rechnung zu begleichen? Er warsich jetzt nicht mehr sicher. In seiner gegenwärtigen Stimmung erschien ihm der tödliche Hass auf jene zwei Männer monströs. Vielleicht sollte er Longuinius’ Rat befolgen und sich nicht länger von seinem Verlangen nach Rache beherrschen lassen. Vielleicht war gerade Serenity
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