Die Plantage: Roman (German Edition)
Square einbog. Unaufgefordert half der Concierge William beim Aussteigen. Als hätte Watson geahnt, dass mit dem nasskalten Wetter Williams Beschwerden wiederkämen, hatte er in seinen Zimmern einheizen lassen. Im Sessel vor dem Kamin wartete William darauf, dass die Wärme des Feuers den Schmerz in seinem Bein besänftigte.
Néné war noch nicht wieder aufgetaucht. Wie befürchtet, hatte Nick Crawford vergeblich nach dem Jungen geforscht. Am nächsten Morgen würde William die Suche also selber in die Hand nehmen müssen. Am Pier der Amerikafahrer wollte er beginnen; ein halbwüchsiger Schwarzer in guter Kleidung musste doch irgendjemandem aufgefallen sein.
Der Hausdiener hatte ihm ein Bad eingelassen. Das heiße Wasser war eine Wohltat. In der kupfernen Wanne ausgestreckt, konnte William sich langsam entspannen.
Wie gut, dass er heute den Weg zum Haus seines Bruders gefunden hatte! Thomas hatte ihn mit einer Herzlichkeit empfangen, die ihm selbst das Herz geöffnet hatte. Er hatte ihn dazu gebracht, endlich auszusprechen, was er Antonia hättesagen sollen, aber nie zuvor über seine Lippen gekommen war: dass er sie liebte, mehr als alles auf der Welt! Wie musste sein Schweigen sie enttäuscht haben. Ob sie ihn deshalb gehen ließ? Thomas meinte, gerade das sei der Beweis ihrer Liebe gewesen. William glaubte das nicht. Wenn sie ihn wirklich liebte, hätte sie ihn nicht gehen lassen.
Ein Frösteln überlief ihn. Er stieg aus dem kalt gewordenen Wasser und trocknete sich vor dem Wandspiegel ab. Aus seinen kurzen Haaren fielen Wassertropfen und rannen ihm mit angenehmem Prickeln über Brust und Rücken herab. Er betrachtete sich eine Weile schweigend, während er mit einer Hand über die feinen Narben strich.
»Angenommen, sie hätte gesagt: Geh nicht fort!«, sagte er.
Die Miene seines Spiegelbildes wurde so verächtlich, dass er sich schnell abwandte.
30.
Am anderen Morgen hüllte eine dichte Wolkendecke die Stadt in graue Regenschleier. William ging seit zwei Stunden die Piers ab und stellte gleichgültigen Matrosen die immerselben Fragen. Er beschrieb ihnen einen halbwüchsigen schwarzen Jungen mit verträumtem Blick. Aber wen er auch fragte, niemand hatte einen Jungen gesehen, auf den die Beschreibung passte.
Gegen Mittag frischte der Wind auf, in Böen wehte er über den Fluss und trieb kalte Regenschauer vor sich her. William kam zum Pier der Amerikafahrer zurück. Von den Spitzen seiner Hutkrempe triefte das Wasser, der Mantel war schwer vor Nässe. Er fror bis ins Mark, das Bein tat jetzt höllisch weh. Der Kai lag verlassen. Sein Unterfangen kam ihm zunehmend sinnlos vor, und er dachte daran, zum Hotel zurückzufahren.
Er stand unter dem Bug einer Dreimastbark, einem der neuen Schnellsegler, die im Seekrieg auch Jagd auf Handelsschiffe machten. An dem Schiff war er schon öfter vorbeigegangen, den Namen Tristar hatte er sich gemerkt. An Deck versahen zwei schwarze Matrosen die Wache, sie standen hinterm Schanzkleid im Vorschiff und sahen aus den Kapuzen ihres Ölzeugs zu ihm herunter.
»Wohin fährt euer Schiff ?«, fragte er.
»Nach New York, Mister, zum Heimathafen.«
»Wann?«
»Übermorgen früh, mit ablaufender Flut.«
»Na, dann gute Heimfahrt, Jungs!«, sagte William und dachte, einen letzten Versuch wäre es wert. »Ist euch vielleicht ein junger Schwarzer aufgefallen, der sich hier bei den Schiffen herumgedrückt hat? Fünfzehn Jahre alt, nicht sehr groß?«
Die beiden Matrosen sahen sich an und nickten. »So einer war hier, Mister.«
»Wann war das? Habt ihr mit ihm gesprochen?«
»Er kam gestern hierher, sagte, er sei aus Charles Town.«
»Das ist er! Néné, er ist mein Diener. Wisst ihr, wo er jetzt sein könnte?«
Der ältere Matrose blickte kurz den Kai entlang, dann sagte er: »Gestern hing er den ganzen Tag hier rum, faselte was von anheuern und nach Amerika fahren. Als der Master von der Inspektion kam, lief Ihr Diener hinter ihm her und versuchte, auf die Kutsche aufzuspringen. Das war das Letzte, was wir von ihm gesehen haben.«
William überlegte. »Glaubt ihr, er hat sich auf der Tristar anheuern lassen?«
»Schon möglich«, meinte der Ältere, und der Jüngere setzte hinzu: »’Ne harte Schule für so ’n schmächtiges Kerlchen!«
»Na schön«, sagte William. »Wer ist dieser Master? Vielleicht kann er mir ja weiterhelfen.«
»Er ist der Agent der Starline.«
»Dann finde ich ihn wohl in der Agentur am Hafen?«
»Glaube kaum, dass Sie ihn dort
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