Die Plantage: Roman (German Edition)
antreffen.«
»Und warum nicht?«
Die beiden sahen sich unsicher an. »Er kommt nur selten her«, sagte der Jüngere. »Wenn er jemanden sehen will, lässt er ihn auf sein Schloss kommen.«
»Ein Schloss? Wie komme ich zu diesem Schloss?«
»Keine Ahnung«, sagte der ältere Matrose achselzuckend.
Der Jüngere meinte: »Wir waren noch nie dort, Mister.«
William kam es vor, als hätte er Nénés Spur verloren, kaum dass er sie gefunden hatte. Er rückte den Hut tief in die Stirn und machte sich auf den Heimweg.
Mrs. Crawford empfing ihn bei der Rückkehr mit gut gemeinten Vorwürfen und war erst zufrieden, als er in Hausrock und Seidenshawl in seinem völlig überheizten Zimmer starken Tee trank. Als sie später das Geschirr abräumte, erkundigte sie sich nach Néné.
»Sie müssen dieses Schloss finden!«, sagte sie nach seinem Bericht. »Es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, Sir.«
»Nun, was schlagen Sie also vor, Mrs. Crawford?«
»Schicken Sie Nick noch mal zum Hafen, damit er in der Agentur der Schifffahrtsgesellschaft fragt, wo dieser Master üblicherweise anzutreffen ist.«
Ihre besonnene Entschlossenheit gefiel ihm. »Sehr gut, Madam, veranlassen Sie, was Sie für richtig halten.«
Nachdem sie gegangen war, sah William die Post durch. Die Grange hatte die erbetene Abschrift des Stammbaums jenes Araberhengstes geschickt, von der Bank kam ein dickerer Brief, wahrscheinlich ein Anlageangebot; die gefaltete Karte von Thomas enthielt den Vermerk, er werde ihn am übernächsten Tag um ein Uhr zum Lunch abholen. Schließlich ein Schreiben des Notars. William brach die beiden Siegel, entfaltete das Blatt und überflog die wenigen Zeilen. Der Notar bat ihn um einen Besuch in Middle Temple, das Begleitschreiben von Longuiniussolle er mitbringen. Erst jetzt bemerkte er den amtlichen Charakter des Schreibens. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es die passende Zeit für den Besuch bei Mr. Clarke sei. Er suchte den Brief heraus, den Longuinius ihm zusammen mit den Papieren für den Notar gesandt hatte, machte sich ausgehfertig und schickte nach einer Droschke.
Clarkes Amtsdiener bat ihn, in der Bibliothek zu warten. Zwischen einem guten Jahrhundert juristischer Fallentscheidungen sich selbst überlassen, ließ William sich in einen Sessel fallen; er musste sein Bein entlasten, das ihm in letzter Zeit nicht nur wegen des Wetters zu schaffen machte. Für einen Moment schloss er die Augen, sofort erschienen die Silhouetten hoher Bäume vor einem südlichen Himmel, die Sykomoren und immergrünen Eichen von Legacy.
»Mr. Marshall?« In der Tür stand ein älterer Mann, der ihn aus stahlblauen Augen betrachtete. »Welch glückliche Gabe, an Ort und Stelle schlafen zu können!«
»Die Gewohnheit eines Soldaten«, sagte William, der gleich aufgestanden war, um den Notar zu begrüßen.
Clarke führte ihn in sein Arbeitszimmer, wo sie an seinem Beurkundungstisch Platz nahmen. Es lag darauf der Umschlag, den William am Tag zuvor abgegeben hatte. Das Siegel war gebrochen.
»Mr. Marshall, hat Mr. Longuinius Sie über den Inhalt der Dokumente, die Sie mir überbringen sollten, in Kenntnis gesetzt?«
»Nein, Sir, ich habe keine Ahnung, um was es sich handelt«, sagte William. »Ein Bote brachte mir den Umschlag. In einem Begleitschreiben erklärte Longuinius, es seien persönliche Unterlagen, die ich zu Ihnen nach London bringen solle.«
»Dürfte ich dieses Schreiben sehen?« Als William zögerte, erklärte der Notar: »Mr. Longuinius hat mich zu seinem Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter eingesetzt. DerUmschlag, den Sie mitgebracht haben, enthielt unter anderem einen Zusatz zu einer letztwilligen Verfügung, die er vor längerer Zeit in meine Verwahrung gegeben hatte. Da ich vor der Testamentseröffnung prüfen muss, ob alle Dokumente vollständig vorliegen, müsste ich wissen, ob Mr. Longuinius in seinem Schreiben Äußerungen gemacht hat, die seinen Nachlass betreffen.«
»Soll das heißen …?«
Clarke nickte: »Mr. Longuinius ist tot.«
Nein, warum jetzt!, dachte William bestürzt. Er hatte kaum Zeit gehabt, ihn kennenzulernen. So viel hatte er ihm noch sagen wollen, Dinge, die er nur ihm hätte anvertrauen können. Julien Longuinius war der Einzige gewesen, der ihn nicht verurteilt hatte; der verstand, durch welche Hölle er gegangen war. Er schluckte trocken, fuhr sich über die Augen. Wortlos nahm er Longuinius’ Brief aus der Innentasche des Rockes und legte ihn auf den Tisch.
Der
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