Die Plastikfresser
–, und der sich selbst zerstörende Behälter war keine Ausnahme. Alle Welt brachte Hypothesen vor, um zu beweisen, warum es nicht funktionieren könnte, und nur allmählich, als sie der Idee nichts anhaben konnten, schwiegen die kritischen Stimmen. Schließlich gab es keine Einwände mehr, und die Gruppe machte sich mit fieberhafter Aktivität ans Werk.
Eine gebrauchte Spritzgußmaschine wurde installiert, Formen wurden hergestellt, und Wright stellte so viel synthetisches Material her, daß eine Reihe von Experimentierbehältern gegossen werden konnten. Die Luft im Hauptlaboratorium wurde heiß und übelriechend. An diesem Geruch waren hauptsächlich die komplizierten Aminosäuren aus den Verbindungen schuld, die notwendig waren, um das Plastikmaterial herzustellen.
Kramer hatte inzwischen das Patent angemeldet und mit staatlichen Forschungs- und Entwicklungsämtern verhandelt, um Zuschüsse zu erhalten.
Bis die Idee verläßlich funktionierte, waren zahlreiche Hindernisse zu überwinden. Das Hauptproblem war, das Plastikmaterial so empfindlich zu machen, daß sich der Zerfallsprozeß, sobald Licht und Sauerstoff in den Bereich unter den Abreißstreifen eindrangen, auch durch den ganzen Behälter hindurch fortsetzte, bis schließlich nur der undurchlässige Belag – gewöhnliches Plastikmaterial in der Stärke von ein paar Hundertstel Millimetern – übrigblieb.
Dieser Überzug bildete schließlich das letzte Problem. Er sollte sich der spontanen Zerstörung des Hauptbehälters anschließen. Deshalb wurde dem empfindlichen Plastikmaterial ein Gemisch beigefügt, das – nach der Selbstzerstörung – eine winzige Menge Lösungsmittel freisetzte. Das verwandelte den dünnen Überzug in eine leicht verdunstende Flüssigkeit, so daß am Schluß nur noch die Kohlenstoffteilchen übrigblieben, mit denen er angereichert war, um lichtundurchlässig zu sein.
Schließlich wurde die Selbstauflösungszeit auf zwei Stunden festgesetzt. Nach den Gebrauchsanweisungen auf den Flaschen mußte der Inhalt nach dem öffnen unverzüglich entleert werden.
Während des erregenden Entwicklungsprozesses herrschte in der Gruppe eine geradezu weihevolle Atmosphäre. Jeder arbeitete selbstlos und oft die ganze Nacht hindurch. Eine ununterbrochene Hochstimmung voller Abenteuergeist und Entdeckerfreude hielt alle gefangen und niemand schonte sich. Betty wurde Mutter und Köchin und sorgte für einen ständigen Nachschub an Kaffee, Essen und Whisky. Eines Morgens nach fast vierundzwanzig Stunden ununterbrochenen Experimentierens, ließ Kramer eine Flasche rundum gehen und begann an der Tafel mit Namen für das neue Material zu spielen. Man entspannte sich unter dem Einfluß des Alkohols, und die Einfälle wurden immer unpraktischer und frivoler. Ein Vorschlag lautete ›Sonnendreck‹, ein anderer ›Oxydung‹, oder auch ›Kramers Krümel-Korn‹. Schließlich einigte man sich auf »Degron«.
Dann kam die Pressekonferenz im Büro in der Londoner City, das Kramer als Verkaufsabteilung für die Organisation gemietet hatte. Der Alkohol floß in Strömen, die Journalisten wurden großzügig mit allen Informationen versorgt, aber es wurde doch auch sehr sorgfältig darauf geachtet, daß niemand ein Muster in die Hand bekam, um es womöglich mitzunehmen und analysieren zu lassen.
Es folgten Interviews im Fernsehen, in den wissenschaftlichen Programmen, und schließlich standen die Hersteller Schlange, die eine Lizenz zur Massenherstellung von Degronbehältern erwerben wollten.
Kramer führte unter den konkurrierenden Firmen eine erfolgreiche Versteigerung durch, die jedem Händler in den Souks von Bagdad zur Ehre gereicht hätte, und schloß schließlich einen Vertrag mit einer großen Limonadenfirma ab, die im Grunde nur nach einem neuen Verkaufsschlager suchte, um den Absatz ihrer Mixtur aus Weinsäure, Essigsäure, Sacharin und Farbstoffen, die schamlos ›Tropenfreude‹ genannt wurde, anzukurbeln.
Die Werbekampagne der Limonadenfirma war ein spektakulärer Erfolg. Das Publikum kaufte nun dasselbe chemische Gepansche wie vorher – nur im neuen Behälter, einfach, weil er interessant aussah und neue Handbewegungen zum öffnen erforderte.
Die Kampagne wurde mit sorgfältig ausgeklügelten Texten versehen. Auf Hunderten von Plakatwänden, in den U-Bahnen, im Werbefernsehen, in den Zeitungen, wurden die Konsumenten aufgefordert, ›Tropenfreude‹ zu kaufen:
»Schützen Sie die Umwelt, trinken Sie ›Tropenfreude‹. Reißen Sie
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