Die Plastikfresser
– nur war er bis jetzt zu müde gewesen, um es aus den anderen Geräuschen herauszufiltern. Es war ein sanftes Zischen und Brodeln. Es zischte und brodelte unter dem Bahnsteig.
»Vielleicht finden wir irgendwo einen Riß, eine Spalte, um zu sehen, was da unten los ist«, sagte Gerrard und griff nach der Lampe.
Slayter nahm ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer und folgte ihm. Sie suchten den ganzen Bahnsteig ab und entdeckten schließlich einen Schachtdeckel mit einem Sprung.
Gerrard kniete sich auf den Boden und näherte sein Gesicht der Öffnung. Dann zog er mit einem Mal eine Grimasse, hustete und hielt sich die Nase zu. »Mann, was ist das für ein fürchterlicher Gestank!«
Slayter kniete sich neben ihn, schnüffelte, prallte zurück und gab ein würgendes Geräusch von sich.
»Was ist es denn?« sagte Anne gespannt.
»Wieso haben wir das am anderen Ende des Bahnsteigs nicht gerochen«, sagte Slayter nach einer Sekunde des Nachdenkens.
»Weil die Zugluft in entgegengesetzter Richtung weht«, erwiderte Gerrard. Er leuchtete mit der Stablampe in den Spalt hinab. »Da unten fließt etwas! Das ganze Zeug bewegt sich in einer Richtung! Schaut mal!«
Sie hielten sich die Nasen zu und spähten hinab. Im schwachen Lichtschein war eine gärende Masse aus brodelndem, bräunlichem Schlamm zu sehen. Sie bewegte sich stetig in einer Richtung.
»Der Bahnsteig muß unten hohl sein«, sagte Slayter.
»Richtig«, bestätigte Gerrard. »Aber dieser Geruch … den kenne ich doch … woher denn nur …? Verdammt noch mal …« Er schlug sich mit der Faust in die Hand und dachte konzentriert nach. »Natürlich! Das Plastikzeug! Die zerfallenden Kabel im U-Bahntunnel – und die Schaltung von dem Roboter!«
»Tatsächlich«, sagte Anne leise. »Das stimmt! Ich erinnere mich.« Sie lief zum Feuer zurück und holte den nun leeren Wasserkanister. Sie blickte die beiden Männer an. »Ihren Gürtel, bitte«, sagte sie zu Slayter.
Slayter löste seinen Gürtel und gab ihn ihr. Sie band ein Ende um den Handgriff des Kanisters und ließ ihn auf die schäumende Masse hinab. Sie bewegte den Gürtel hin und her, bis der Kanister unterging, dann zog sie den gefüllten Behälter hoch. Die Flüssigkeit befand sich in ständiger Bewegung, brodelte und zischte. Anne trug den Kanister zum Feuer und nahm eine Flasche Eau de Cologne aus ihrer Handtasche. Sie leerte das Fläschchen aus und schüttelte es, bis es trocken war. Dann füllte sie es vorsichtig mit etwas von der Flüssigkeit aus dem Kanister und hielt es gegen den Flammenschein. Das Zeug war trüb und gelblich. Selbst in dem Fläschchen schäumte es noch und zischte leise. Mit einem Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche wischte sie das Fläschchen außen sorgsam trocken. Sie schraubte den Metallverschluß auf, bis er fest saß, dann drehte sie ihn wieder um eine halbe Windung zurück.
Gerrard nahm ihr das Fläschchen ab. »Ich möchte ein Experiment machen«, sagte er. »Wollen mal sehen, was passiert.« Er tastete in seine Tasche und holte einen billigen Plastik-Kugelschreiber hervor und steckte ihn halb in die blasenwerfende Flüssigkeit.
Slayter war über dem Schacht hockengeblieben und starrte immer noch hinunter. Gerrard und Anne knieten sich neben ihm nieder. »Das Zeug fließt über das Ende des Bahnsteigs hinaus weiter«, sagte Slayter verwundert. »Die Strömung ist ziemlich stark.«
»Es könnte in einen dieser unterirdischen Bäche fließen«, sagte Anne. »Die gibt’s doch, nicht wahr? Fließt nicht der Fleet hier in diesem Teil Londons unter der Erde?«
»Möglich«, sagte Slayter zögernd. »Es kann aber auch der Ausfluß von einem geplatzten Abwasserkanal sein. Riecht jedenfalls ganz danach.«
Gerrard ging zum Feuer zurück, langte in den Kanister und zog den Kugelschreiber aus der Flüssigkeit. Er stieß einen überraschten Ruf aus. Die anderen liefen zu ihm.
Die obere Hälfte des Kugelschreibers war aufgeweicht, der Druck seiner Finger verformte das Plastikmaterial ein wenig. Die andere Hälfte aber war fast ganz von ihrem Metallkern weggeschmolzen. Als er den Kugelschreiber in der Hand hielt, tropfte das Material ab wie nasse Farbe. Die Flüssigkeit im Kanister hatte die blaue Farbe des Kugelschreibers angenommen.
»Das begreife ich nicht«, sagte Anne. »Was ist das?«
»Ich bin noch nicht ganz sicher«, sagte Gerrard. »Aber was immer es ist – es enthält allem Anschein nach einen Wirkstoff, der Plastik angreift. Das könnte sehr gut die Ursache
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