Die Plastikfresser
gingen. Sie betrachteten die Plakate. Das erste war zwar stark vergilbt und beschmutzt und an einer Ecke abgerissen, aber doch noch deutlich erkennbar. Es war eine Karikatur von Davis Langdon mit den Zeilen ›Billy Brown aus London Town‹. Darunter hing eine Zeichnung, die einen schicken Herrn mit Melone zeigte, der in einem Eisenbahnabteil saß und einen dunklen Überzug abreißen wollte, der das Fenster bedeckte.
Die Unterschrift lautete: »Verzeihen Sie, wenn ich Sie hindere – weil dadurch ich Gefahr vermindere!« Ein altes Luftschutzplakat zur Einhaltung der Verdunkelungsvorschriften! Darunter hatte irgendein Witzbold mit einem dicken Bleistift hinzugedichtet: »Vielen Dank für die Information – doch wüßt’ ich gern, wie heißt die Station!«
Unter anderen Umständen, dachte Gerrard, wäre ihm das vielleicht komisch vorgekommen. Nun aber schwang ein Hauch des Schreckens in diesem Echo seiner Erinnerungen an Krieg und Luftangriffe mit. Er leuchtete auf den unteren Rand des Plakats. Dort stand kleingedruckt: »Herausgegeben vom Informationsministerium.«
»Ein Kriegsplakat«, sagte Slayter. »An das Zeug, das der Kerl auf dem Plakat da entfernen will, erinnere ich mich noch. Mit dem Zeug waren in meiner Kinderzeit die U-Bahn-Fenster beklebt, damit bei Bombenexplosionen keine Splitter in die Abteile flogen.«
»Soll das heißen, daß dieser Bahnhof seit – um Himmels willen – seit dreißig Jahren nicht mehr in Betrieb ist?«
»Gab es nicht während des Kriegs eine U-Bahn-Katastrophe?« fragte Slayter. »Kamen da nicht mehre hundert Menschen in einem U-Bahnhof um, der als Luftschutzbunker diente?«
Anne schauderte: »Glauben Sie, daß es dieser Bahnhof war?«
»Möglich«, sagte Slayter. »Wenn ich mich recht erinnere, fiel die Bombe durch einen Ventilationsschacht und blockierte die Strecke. Reichen Sie mir mal die Lampe«, sagte Gerrard. Slayter ging bis ans Ende des Bahnsteigs und leuchtete die Wände ab, während die anderen ihm folgten.
Auf einem Plakat saßen Menschen in einem Zugabteil, zwei unterhielten sich aufgeregt mit übertriebenen Gesten; ein dritter, halb verdeckt von einer Zeitung, mit einem Schnurrbart und einer dünnen Hitlerlocke auf der Stirn, lauschte aufmerksam. Der Text lautete: »Sorglosigkeit kann uns das Leben kosten!«
Am Ende des Bahnsteigs hing ein Schild ›Ausgang‹. Daneben führte eine Treppe nach oben. Sie gingen die Stufen hoch, aber bald versperrte ihnen eine Schutthalde, die bis an die Decke reichte, den Weg.
»Das muß der Volltreffer gewesen sein«, sagte Gerrard. »Hier muß die Bombe den Schacht heruntergekommen sein und die Decke zum Einsturz gebracht haben.«
»Und was ist mit dem Tunnel«, fragte Anne. »Er muß doch irgendwohin führen.«
Slayter richtete die Lampe in die Dunkelheit. Der Lichtstrahl erfaßte einen Sandberg, der von den Schwellen bis zum Dach reichte.
»Eine Sandsperre«, sagte Gerrard. »Erinnert ihr euch, was uns der Bahnhofsvorsteher erzählt hat? Wenn eine Strecke stillgelegt wird, füllt man den Tunnel mit Sand, damit keine Züge durchbrausen.«
Anne zitterte: »Können wir nicht ein wenig ausruhen. Ich … mir ist kalt.«
Die beiden Männer blickten einander an. Slayter zeigte auf einen Holzhaufen: »Wir könnten uns ein Feuer machen.«
»Feuer?« rief Anne erschrocken. »Aber – das Gas!«
Gerrard überlegte einen Augenblick, dann zog er sein Feuerzeug aus der Jackentasche, kniff seine Augen zusammen und knipste die Flamme an. Sie brannte sauber und hell und neigte sich ein wenig in der Richtung des Luftzuges.
Slayter blickte ihn ernst an: »Das war ein unverzeihliches Risiko.«
»Mag sein«, sagte Gerrard. »Aber jetzt können wir uns ein Feuer machen.«
»Wird es nicht alles in Brand setzen?« fragte Anne.
»Nein, hier ist alles Stein und Beton«, erwiderte Gerrard. »Wir haben einen schönen Luftzug, die Luft ist sauber – eine gute Idee. Wir holen uns das Holz; dort drüben liegen auch noch ein paar alte Zeitungen. In Ordnung?«
Sie brauchten nur ein paar Minuten, um das Holz auseinanderzubrechen und über die vergilbten Zeitungen zu schichten, die im Staub des Bahnsteigs lagen.
Anne zog ein vergilbtes Zeitungsblatt aus dem Haufen und las im Schein der Stablampe die Schlagzeilen vor: »Russen erringen großen Sieg bei Stalingrad!« Dann las sie das Datum vor: »16. Januar 1943. Wenn es mir nicht so verdammt kalt wäre, könnte ich mich fast über unsere Lage amüsieren.«
Bald brannte das Feuer hell, und
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