Die Plastikfresser
begonnen zu trocknen, aber nun erwärmte die niedrige Flamme des Gasofens die Luft.
Jack und Mary saßen schweigend da und wärmten sich die Hände an den Teetassen. Mary bewegte sich langsam mit ihrem Schaukelstuhl; Jack ließ den Blick über seine Lieblingsdinge wandern – den alten Feldstecher, den er im Krieg erbeutet hatte, die Messinggranate mit der eingravierten Widmung auf dem Kaminsims, den Stapel Do-it-yourself-Magazine und Bücher.
Als der Tee allmählich in ihm eine wohlige Wärme verbreitete, fielen Jack die Augen zu, und er nickte ein. Mary beobachtete ihn und lächelte. Bald schnarchte er leise; sie nahm die Decke von den Schultern und legte sie ihm behutsam um die Knie. Sie selbst wickelte sich in ihren Mantel ein, setzte sich wieder in den Sessel, nahm ein zerlesenes Taschenbuch und hielt die Seiten ins Kerzenlicht.
In der Küche hatte der Schaumfleck sich wieder auszubreiten begonnen.
Mutant 59 war wieder erwacht.
Komplizierte biochemische Signale durchpulsten das Protoplasma der Zellen während der Teilungsprozesse. Inzwischen war aus der Bakterienmutation eine Mikrobenart geworden, die sich ideal ihrer Umwelt angepaßt hatte. Jede neue Generation übernahm die positiven Eigenschaften der vorhergehenden und entwickelte wiederum neue Methoden, Plastikmoleküle aufzubrechen, um sich neuen Lebensraum zu erschließen, lernte, sich die komplexen Erzeugnisse menschlicher Erfindungskraft für seine Zwecke dienstbar zu machen.
Nachdem die Zellen alle Nährstoffe ringsum verbraucht hatten, bildeten sich Gasblasen. Eine Gasblase zerplatzte und sprühte ein paar winzige Tröpfchen auf das Abstellbrett neben dem Spülbecken, das Jack erst wenige Tage zuvor mit selbstklebender Plastikfolie überzogen hatte. Augenblicklich drangen die Tröpfchen in die Plastik-Oberfläche ein und verschwanden.
Im Wohnzimmer wachte Jack auf und sah die Decke auf seinen Knien. »Geht’s dir gut, Mary?« fragte er.
Sie nickte. »Wie lange soll das noch dauern?«
»Keine Ahnung. Wird schon wieder alles in Ordnung kommen, nehme ich an. Im St.-Thomas-Krankenhaus ist eine ganze Horde von Wissenschaftlern an der Arbeit.«
»Wie damals bei den V-2-Angriffen, findest du nicht?«
»Hoffentlich nicht. Die haben verdammte zwei Jahre lang gedauert.«
»Ich weiß nicht, wie wir das überstehen sollen. Wir haben höchstens noch sechs oder acht Liter Öl zum Heizen.«
»Das wird schon reichen. Ich gehe nachher mal zu diesem Notstands-Dingsda und hör mich um, was los ist. Die haben sich schon alles genau ausgedacht. Ich hab’ doch auch irgendwo das Flugblatt mit den Anweisungen.«
Er zog ein zusammengefaltetes, braunes Blatt hervor, dem eine vereinfachte Karte der Stadtmitte in großem Maßstab beigefügt war. »Hier hab’ ich’s. Ich les es dir vor.«
Im trüben Kerzenlicht begann er, die Sätze zu entziffern; aus seinem Mund klang amtliche Verlautbarung seltsam schwerfällig.
NOTSTAND
Bezugnehmend auf Absatz eins des Notstandsermächtigungsgesetzes von 1920 (a) ist heute der Notstand ausgerufen worden. Hiermit wird bekanntgegeben, daß nach der Unterzeichnung der Notstandserklärung durch Ihre Majestät im Einvernehmen mit dem Kronrat dieselbe in Kraft getreten ist.
Die folgenden Anweisungen dienen Ihrem persönlichen Schutz. Es ist unerläßlich, diese Anweisungen sorgfältig zu lesen und mit größter Umsicht zu befolgen. Die Anweisungen gelten nur für Personen, die sich innerhalb des auf der beigefügten Karte bezeichneten Gebiets befinden.
Es ist die Absicht der Regierung, das bezeichnete Gebiet für die Dauer des Notstands zu evakuieren. Sie werden deshalb aufgefordert, eine der auf der Karte rot eingezeichneten Entseuchungsstellen aufzusuchen. Andere Ausgänge stehen nicht zur Verfügung.
Gepäck oder persönlicher Besitz kann nicht mitgenommen werden. Es wird empfohlen, die wärmsten und ältesten Kleidungsstücke anzulegen und keinerlei aus Plastik hergestellte Gegenstände mitzuführen. Überprüfen Sie sorgfältig, ob Sie keine aus Plastik hergestellten Gegenstände am Körper tragen, dazu gehören auch Kleidungsstücke aus Kunstfasern oder solche, die zum Teil aus Kunstfasern hergestellt sind, sowie künstliche Gebisse, Schuhe mit Plastiksohlen oder aus Kunstleder.
In der Entseuchungsstation sind alle Kleider abzulegen. Die zu desinfizierenden Personen haben dann in eine Duschkammer zu treten. In der Zwischenzeit werden sämtliche Kleidungsstücke einer Reinigung unterzogen, anschließend können die
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