Die Poison Diaries
Arbeitszimmers zur Kenntnis zu nehmen.
Ich zünde eine Kerze an und krame in der Vorratskammer herum, bis ich ein gekochtes Ei und ein paar Bratkartoffeln finde, die von einem früheren Mahl übrig geblieben sind. Ich schlage sie in eine Leinenserviette ein, um sie mit nach oben in mein Zimmer zu nehmen. Ich will sie allein verspeisen und dann zu Bett gehen, will die Erinnerung an diesen schrecklichen Tag so schnell wie möglich hinter mir lassen.
Das Haus ist so still. Vielleicht hat Vater sich doch schon zurückgezogen. Aus Gewohnheit nehme ich mir die Zeit, nach den Belladonna-Samen zu sehen. Heute ist die letzte Nacht in ihrem wässrigen Nest, ihre letzte Nacht in meiner Obhut. Morgen werden sie in dem Garten eingepflanzt werden, den ich nicht betreten darf.
Ich hebe den Deckel an und halte die Kerze so, dass ich in den Eimer sehen kann.
Er ist leer. Trocken und leer. Die Belladonna-Samen sind fort.
Mein erster, entsetzter Gedanke:
Jemand hat sie gestohlen! Vater wird toben!
Aber dann lausche ich noch einmal. Das Haus ist zwar still, aber von draußen kommen Geräusche. Dumpfe, klumpige Geräusche. Jemand gräbt in der Erde.
Jetzt, wo ich sein Licht nicht mehr gebrauchen kann, ist der Mond aufgegangen und badet den Hof in seinem weichen Schimmer. Ich brauche meinen Weg nicht zu sehen. Ich weiß genau, wohin ich gehen muss. Über den Hof, am Fischteich vorbei, vorbei an allen Beeten, den schmalen, gewundenen Pfad hinauf nach links, bis zu dem großen, verschlossenen Tor.
Ich lege eine Hand auf die grob geschmiedete Metallkette. Mit der anderen umklammere ich das Schloss. Ich drücke meine Stirn gegen die kalten Eisenstäbe und spähe durch die dunklen Schatten und die sich bewegenden Schemen einer geheimnisvollen Welt, die ich nie betreten darf.
Vater ist an der nördlichen Mauer, gräbt gebückt im Mondlicht. Er pfeift leise. Er ist glücklich.
Still kehre ich zum Haus zurück. An der Hintertür bleibe ich stehen und lasse den Kopf hängen.
Mein Fuß schnellt vor, und ich verpasse dem leeren Eimer einen Tritt.
Wird mir alles, worüber ich mit Liebe und Fürsorge wache, genommen werden?
Kapitel 4
23 . März
Heute ist ein schöner, klarer Tag, aber ein scharfer, metallischer Geruch in der Luft warnt vor einem aufziehenden Sturm.
Ich habe heute Morgen noch weitere Rettiche gepflanzt sowie Zwiebel- und Knoblauchknollen eingesetzt. Die Knollen haben den Winter im Schutz des Kellers gut überstanden; sie waren trocken und fest, ohne eine einzige faulige Stelle.
Dann nahm ich den Nähkorb mit nach draußen, um ein paar zerrissene Strümpfe zu stopfen, und fand eine …
D er Klang von Hufgetrappel scheint aus dem Nirgendwo zu kommen. Er wird so schnell lauter, dass ich meine Feder vor lauter Überraschung zu Boden fallen lasse. Vater erwähnte mit keinem Wort, dass er Gäste erwartet, und ich kann mich nicht erinnern, ob ich schon die Betten gemacht habe …
Mit jeder Sekunde kommt das Hufgetrappel näher. Wer immer das auch ist, er muss hierher wollen, denn der nächste Hof liegt in der anderen Richtung.
»Vater!«, rufe ich, als ich in die Küche eile, um das Frühstücksgeschirr abzuräumen. »Es kommt jemand! Soll ich etwas zu essen vorbereiten? Soll ich Tee kochen?«
Es ist fast eine Woche vergangen, seit Vater die Belladonna-Samen stahl (denn in meinen Augen war es nichts anderes als Diebstahl) und einpflanzte. Wir haben kein Wort darüber verloren. Wir haben in den vergangenen Tagen überhaupt kaum miteinander gesprochen. Aber die Erregung über einen unerwarteten Besucher lässt mich meinen Entschluss, ihn mit Schweigen zu strafen, vergessen.
»Vater!«, rufe ich, jetzt lauter. »Erwartest du jemanden?«
Es kehren nicht viele Leute bei uns ein, nur hin und wieder ein fahrender Händler, der seine Blechtöpfe verkaufen will, oder eine ältere Dame aus der Nachbarschaft, die ein Mittel gegen Zahnschmerzen verlangt. Ab und zu beehrt uns der Herzog, immer unangekündigt, in Begleitung einer kleinen Jagdgesellschaft. Dieses Land gehört ihm, wie die meisten Äcker und Weiden hier in Northumberland, und die Felder und Wälder, die sich an das Gelände der Abtei anschließen, sind schon seit langem die favorisierten Jagdgründe des Herzogs. Am Ende eines beutereichen Nachmittags halten er und seine Gäste manchmal hier an, um sich die Ruinen anzuschauen, ihre Pferde zu tränken und mit der Zahl der abgeschossenen Tiere zu prahlen.
Vater kommt in den Salon gestürzt. Seine Haare stehen ihm in
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