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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryrose Wood
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auch so gut wie nichts. Er nahm nie ein Stück Brot oder einen Löffel Brei zu sich. Hin und wieder ertappte ich ihn dabei, wie er ein Kaninchen oder eine Taube verspeiste, die er sich selbst gefangen hatte. Er durfte in der Kohlenschütte schlafen, und ich ließ ihn Feuerholz sammeln und kleine Botengänge für die Köchin erledigen.«
    »Sie nahmen das Kind also als unbezahlte Arbeitskraft auf«, sagt Vater. »Als Sklave, um genau zu sein.«
    »Immer noch besser, als draußen auf der Straße zu erfrieren!«, gibt Pratt zurück. »Ich habe gleich gewusst, dass mit ihm etwas nicht stimmt, aber er erledigte seine Arbeit, ohne sich zu beklagen. Nachdem er sich eingelebt hatte, fragte er mich eines Tages, ob er den Patienten an den Nachmittagen den Tee bringen dürfe. Und Narr, der ich war, habe es ihm erlaubt.«
    »Sie, ein Narr?«, unterbricht ihn Vater scharf. »Inwiefern?«
    Pratt ringt die Hände, als ob er die Worte aus sich herauspressen müsse. »Ein Narr, ja … Denn Sie müssen wissen, Luxton: Der verdammte Bengel hat meine Patienten geheilt!«
    »Geheilt?
Wovon?«
    »Von ihrem Irrsinn natürlich! Wovon sonst könnte man einen Geisteskranken heilen?« Pratt erhebt sich von seinem Stuhl und geht in dem kleinen Zimmer auf und ab. »Und es waren lauter hoffnungslose Fälle: Plappernde, sabbernde Wahnsinnige, die jedem an die Gurgel gehen würden, der sie bloß schief anschaut. Frauen, die wie Tiere schreien und sich die Haare ausreißen. Aber zwei Wochen, nachdem der Junge mein Haus betreten hatte, schlenderte der ganze Haufen draußen im Garten umher, las die
Times
und erging sich in liebenswürdigen Gesprächen!« Er beugt sich vor. »Und wissen Sie was, Luxton? Ich bin überzeugt davon, dass der Bengel ihnen etwas in den Tee geschüttet hat.«
    Stille, bis auf das Knistern und Knacken des Feuers.
    »Faszinierend«, sagt Vater mit ruhiger Stimme. »Was glauben Sie, das es war?«
    »Wer weiß? Wen kümmert’s? Ich sagte dem Hexenjungen:
Was auch immer du da in deinem Kessel zusammengebraut hast, du wirst künftig die Finger davon lassen. Wenn England die Wahnsinnigen ausgehen, bin ich mein Geschäft los, und das bedeutet, dass du kein Dach mehr über dem Kopf hast. Wie würde dir das gefallen, du elender Kerl?
Nun, ich dachte, ich hätte mich klar und deutlich ausgedrückt und die Sache sei damit erledigt – aber der Junge sagte kein Wort, sondern starrte nur zu Boden und nickte.«
    »Und dann?«
    »Das war vor zwei Wochen. Meine Patienten – diejenigen, die noch übrig sind – sind so brav wie Täubchen. Dafür ist die halbe Stadt verrückt geworden.« Pratt wischt sich den Schweiß mit seinem schmutzigen Ärmel von der Stirn. »Ehrbare Damen in fortgeschrittenem Alter rennen unbekleidet in den Straßen herum. Erwachsene Männer springen von Dächern und schreien: ›Ich kann fliegen!‹ Mittlerweile ist mein Institut ins Visier der Öffentlichkeit geraten. Als ob Irrsinn ansteckend wäre!«
    Es mag sein, dass mir das flackernde Licht des Kaminfeuers einen Streich spielt, aber als ich Vater betrachte, ist mir, als ob er versucht, sich das Lachen zu verkneifen. »Schockierend«, erklärt er, anscheinend nicht sonderlich überrascht. »Und hatte der Junge irgendetwas zu dieser absonderlichen Entwicklung zu sagen?«
    »Ich habe ihn gefragt, wie Sie sich ja denken können«, sagt Pratt und ballt die Fäuste. »Aber erst einmal musste ich ihn finden. Vor lauter Schuldgefühlen hatte der Kerl sich verkrochen. Ich habe ihn überall gesucht, bis ich ihn im Heu liegend fand, zufrieden wie ein Eichhörnchen. Ich habe ihn am Kragen gepackt und ordentlich durchgeschüttelt und ihn gefragt, was für eine Teufelei er diesmal ausgeheckt hat! Und wissen Sie, was er darauf antwortete, mit dieser selbstzufriedenen Miene und der affektierten Stimme? ›Mit Teufeln kenne ich mich nicht aus, Herr, aber ich habe einmal mit einem Engel gesprochen.‹ So eine Frechheit! Ich habe ihn angebrüllt, geradewegs ins Gesicht habe ich ihm gebrüllt, so dass er auch nicht den geringsten Zweifel an meinem Zorn haben konnte. ›Komm mir nicht mit Engeln! Die ganze Stadt hat den Verstand verloren!‹ Und der Zwerg zuckt mit den knochigen Schultern und sagt: ›Das ist doch gut für’s Geschäft.‹ Sie sehen also, was ich durchgemacht habe.«
    Erschöpft lässt sich Pratt wieder auf seinen Stuhl am Tisch fallen und stützt den Kopf in die Hände.
    Das Feuer im Kamin zuckt und flackert. Auch ich brenne, und zwar vor Neugier: Wie wird

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