Die populaersten Irrtuemer ueber das lernen
sie nahezu so lange, wie es Schule gibt. In den 60er- und 70er-Jahren wollte
man alte Zöpfe auch im Bereich des Lernens abschneiden. Stures Pauken galt als Wurzel allen Übels. Man solle etwas „verstehen“, lautete das Credo, nicht
auswendig lernen. Diese Einschätzung, so das Urteil der beiden Psychologen und Lernexperten Aljoscha Neubauer und Elsbeth Stern, sei „ein kapitaler Fehler“ gewesen, denn damit habe man „künstliche Widersprüche“ aufgebaut. „Verstehendes Lernen“ sollte man nicht gegen „wiederholen, üben, auswendig lernen“ ausspielen. Alles ist gleichermaßen wichtig.
Wer den Satz „Kraft ist Masse mal Beschleunigung“ auswendig lernt, hat noch lange nichts begriffen. Nur wer dank verschiedener
Versuche die Wirkungen des Gesetzes erfahren und erprobt hat, wird es auch wirklich verstehen und anwenden können. Und doch ist auch pures Wiederholen
beim Lernen wichtig. Wie sehr, zeigt sich am besten an einem Beispiel nichtschulischen Lernens. Wer Fahrstunden nimmt, muss überlegen, bevor er losfährt:
Kupplung treten, Gang einlegen, Kupplung kommen lassen, Gas geben. Der geübte Autofahrer führt die einzelnen Schritte ohne nachzudenken aus. Er kann sich
dabei unterhalten, das Navigationsgerät bedienen, die Landschaft wahrnehmen und auf das übrige Verkehrsgeschehen achten. Übung gibt Sicherheit, und die
ermöglicht es uns, dass wir uns auf andere Dinge konzentrieren können. Durch wiederholendes Üben gelingt es uns, Tätigkeiten zu automatisieren. Dinge
aber, die uns „in Fleisch und Blut“ übergegangen sind, belasten unser Gehirn, genauer gesagt, den Arbeitsspeicher unseres Gehirns nicht. Das ist
fantastisch, denn nun haben wir im Wortsinn den Kopf frei für Wichtigeres.Schüler müssen vieles automatisieren, wenn sie erfolgreich
sein wollen. Wer einen französischen Aufsatz schreiben muss, wird das vermutlich besser erledigen können, wenn er nicht dauernd abgelenkt wird, indem er
z. B. Vokabeln nachschlagen muss.
Ein weiteres anschauliches Beispiel ist das Lernen des Einmaleins. Schüler müssen die Rechenoperation zunächst einmal verstehen. (Tipp
für Eltern: Lassen Sie Ihr Kind drei mal vier Bücher aus dem Schrank holen, sieben mal zwei Waschlappen anreichen etc.) Das Verstehen allein bringt einen
Schüler aber kaum weiter. Er muss das Einmaleins lernen, andernfalls wird er anderen Schülern gegenüber immer im Nachteil sein, weil er Zeit und Kraft für
Dinge aufwenden muss, die andere nicht mehr kosten als ein Wimpernzucken. Selbst wenn in höheren Klassen Taschenrechner erlaubt sind, ist das Eintippen
von 7 x 8 zumindest immer noch lästig.
Der Vorteil automatisierten Verhaltens besteht darin, dass wir etwas tun können, ohne dass es unsere Aufmerksamkeit bindet. Wer etwas
ohne Anstrengung hinkriegt, vermag sein Level, sein Niveau zu steigern. Er dringt in höhere Sphären vor und kann es zur Meisterschaft bringen. Die
Verhaltenstherapeuten und Automatisierungsfans Fritz Jansen und Uta Streit (Autoren von Positiv lernen ) veranschaulichten das im Gespräch
folgendermaßen: „Wer hoch automatisiert und mühelos Sätze formulieren und die richtige Rechtschreibung der einzelnen Wörter abrufen kann, hat Kapazitäten
übrig für den Ausdruck der eigentlichen Inhalte. Nur Musiker, die ihre Instrumente hoch automatisiert beherrschen, sind in der Lage, sich der eigentlichen
musikalischen Gestaltung des zu spielenden Werkes zu widmen. Spielt ein Geiger ein Konzert und muss dabei seine Aufmerksamkeit noch auf die Sauberkeit der
Töne und die Richtigkeit der Bogenführung richten, wird ihm kaum Musik gelingen, die unsere Seele berührt.Architekten, die ihr
grundlegendes Wissen in allen Bereichen automatisiert abrufen können, haben die bewusste Informationsverarbeitung frei für schöpferische Planungen. Nur
ein Wissenschaftler, der grundlegende Wissensbestände aus seinem Bereich hoch automatisiert abrufen kann, ist in der Lage, sie neu zu kombinieren.“
Automatisieren ist die Folge von Übung in Teilschritten. Grundsätzlich sind dabei laut Jansen und Streit zwei Dinge zu beachten:
Auf einen Reiz muss immer mit dem gleichen Verhalten reagiert werden. D. h. der Reiz 8 x 7 muss immer von der gleichen Antwort begleitet werden, also
56. Aufgabenstellungen, die zu vielen Fehlern führen, behindern diese Regel.
Nötig ist eine hohe Anzahl von Wiederholungen. Repetieren ist notwendig, damit etwas überhaupt erst einmal im
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