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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Reisende entweder, wenn er sich richtig entscheidet, finden wird, was er sucht, oder, falls er verkehrt fährt, immer noch die Gewissheit hat, etwas anderes zu finden. Es ist ja keine Tour im Hochgebirge, wo man sich verirren könnte – hier ist alles nah, doch die Hügelkette mit ihren immer neuen Scheitelpunkten und Talsohlen gaukelt eine falsche Perspektive vor, bewirkt ein neues Entfernungsempfinden, man meint, man brauche nur die Hand auszustrecken und könne die Kirche von São Quintino schon fast berühren, da verschwindet sie plötzlich, spielt Verstecken, wir sind nur zwanzig Meter von ihr entfernt und können sie nicht sehen.
    Es wäre ein Jammer gewesen. Die Kirche von São Quintino verdiente eine direkte Busverbindung, einen kenntnisreichen Fremdenführer, der über Azulejos genauso gut sprechen kann wie über Architektur, über den manuelinischen Stil wie über Renaissance, über die Außenansicht wie über das harmonische Innere. Denn diese Kirche am Hang eines Hügels mit Blick über den weiten Horizont ist ein fast unbekanntes Juwel. Und um noch einmal auf den Führer zurückzukommen, ihm zur Seite sollte, als unverzichtbarer Teil der Information, die Frau gestellt werden, die der Reisende in einem Gemüsegarten in der Nähe ausfindig machte und die ihm bei der Besichtigung Gesellschaft leistete. Diese Frau wäre die Stimme der aufrichtigen Liebe zu den Dingen, jene, die nichts von Gelehrsamkeit weiß, wie sie so oft als bloßes Etikett dem wahren Antlitz der Schönheit aufgedrückt wird, sondern bei der in jedem gesprochenen Wort fast schmerzliche Rührung mitschwingt, jenes Empfinden, das Menschen mit der scheinbaren Starre und Gefühllosigkeit lebloser, bearbeiteter Gegenstände verbindet. Diese Frau gibt gelegentlich Wörter wieder, die sie beim Besuch von gebildeteren Leuten aufgeschnappt hat – als Echo fremder Stimmen erhalten sie aus ihrem Mund eine neue Bedeutung, Keimlinge eines vielleicht exakten Wissens in der ungeformten menschlichen Scholle, die bereit ist, jede Kultur aufzunehmen.
    Das Portal stammt aus dem Jahr 1530, wie die Inschrift auf einem Pilaster besagt. In ihm finden sich manuelinische und Renaissance-Elemente vereinigt, was jeder sofort feststellen kann, der nur minimale Kenntnisse von beiden hat. Der Reisende besitzt vermutlich kaum mehr als dieses Grundwissen, hat sich aber zur guten Gewohnheit gemacht, über die Dinge nachzudenken, und in diesem Fall sagt ihm sein Nachdenken, dass sie nicht ganz zu Ende geführt worden ist, die geplante Symbiose zwischen einem gänzlich importierten Stil (Renaissance) und dem anderen (manuelinischen), der zwar in Portugal zur Blüte kam, aber ebenfalls seine Wurzeln in der Ferne hatte, in noch größerer Ferne, und seine Nahrung aus einem anderen Kulturboden bezog. Exotisch der eine wie der andere – so wie letztlich auch die Romanik und die Gotik exotisch waren, internationale Stile par excellence –, jedoch aus einer dem künstlerischen Schaffen gegenüber offeneren oder, anders gesagt, weniger vorschreibenden Epoche, gut möglich, dass ihre Weiterentwicklung durch die im 17. Jahrhundert aufkommende ideologische Repression gebremst wurde. Die Verbindung Renaissance/Manuelinischer Stil war ein Schlagen mit den Flügeln, schaffte es aber nie, sich wirklich aufzuschwingen.
    Ein Beispiel soll genügen. Wie man weiß, hat die Formensprache der Renaissance bis zum Überdruss die Maske benutzt, das heißt das subtil oder brutal verzerrte menschliche Antlitz, und Pilaster, Simswerk, Bogenfelder, alles an architektonischer Umsetzung, damit zu rein dekorativen Zwecken übersät. Hier in São Quintino, und sicherlich auch andernorts in Portugal, durfte die Maske oder sollte sie vielleicht gar als ein beunruhigendes oder auch einschüchterndes Element auftreten. Die Maske wurde zur Fratze. Ob beabsichtigt oder nicht, solche Einschüchterung erweist sich deutlich in der volkstümlichen Bezeichnung der dreifachen Maske hoch oben an dem linken Pilaster, die auf eine fraglos ungeordnete Landschaft blickt, und in dem Ton, in dem die Bezeichnung ausgesprochen wird: »das Gesicht mit den drei Nasen«. Das Portal von São Quintino präsentiert noch andere phantastische Formen des Renaissance-Vokabulars, doch keine so reich an zusätzlichen Bedeutungen wie diese.
    Im Innern folgen weitere angenehme Überraschungen. Der Ring auf halber Schafthöhe der Säulen, wie schon in Arruda dos Vinhos gesehen, findet sich auch hier. Doch am schönsten sind die

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