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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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es natürlich, tut aber so, als ob nicht. Vor Fremden spricht sie nicht, an dieses Prinzip halten sich alle Bäume, aber wenn der Reisende gegangen ist, wird sie zu ihm sagen: »Du sollst nicht sterben, Vater.« Und wenn man den Reisenden fragt, woher er das weiß, wird er antworten, dass er für Gespräche mit Bäumen ein Fachmann ist.
    Bis zum Cabo Espichel ist die Landschaft voller Weingärten und Orangenhaine. Der Reisende erinnert sich, dass es eine Zeit gab, da bedeutete »Orangen aus Setúbal« die Quintessenz der Orange. Vermutlich täuscht ihn seine Erinnerung, doch die Bezeichnung blieb für ihn auf immer verbunden mit unvergleichlichen Geschmackserlebnissen. Aus Angst vor einer Enttäuschung wird er keine Apfelsinen essen. Außerdem ist es, wenn er recht überlegt, auch nicht die Zeit für Apfelsinen.
    Der Reisende gesteht, dass die Wallfahrtsstätte Santuário da Senhora do Cabo ihn sehr berührt. Die Unterkünfte in zwei langen Reihen, die schlichten Arkaden, all die rustikale, ländliche Einfachheit gehen ihm mehr zu Herzen als die großen Pilgerbetriebe, die es im Land gibt. Heute kommen nur noch wenige Menschen hierher. Entweder bewirkt die Senhora do Cabo keine Wunder mehr, oder man hat die Pilgerscharen zu einträglicheren Orten umgelenkt. So vergeht der Ruhm der Welt, oder, um es auf Latein zu sagen, was den Worten immer mehr Gewicht verleiht, sic transit gloria mundi – im 18. Jahrhundert strömten die Pilger hierher, heute ist das, was man sieht, ein weites ödes Gelände, niemand im Schatten der Arkaden. Und dabei lohnt sich die Wallfahrt allein wegen der Schönheit des Ortes. Und die Kirche bietet noch mehr Sehenswertes: Marmor aus Arrábida, Gemälde, Skulpturen und schönes Schnitzwerk.
    Das Tal von Santana hinunter nach Sesimbra gibt den Blick aufs Meer frei. Es öffnet sich weit zum grünen Ozean und zum blauen Himmel, verbirgt aber die alte Stadt hinter dem Berg, auf dem das Kloster steht. Der Reisende biegt um die letzte Kurve und befindet sich mitten in Sesimbra. Sooft er auch hierherkommt, immer erscheint es ihm wie eine Entdeckung, eine neue Begegnung.
    Fischeintopf wird überall an der ganzen Küste gegessen, vom Norden bis zum Süden. Doch in Sesimbra schmeckt er aus irgendeinem Grund anders, vielleicht weil der Reisende draußen in der Sonne isst und der Weißwein aus Palmela so exakt gekühlt serviert wird, dass er wie ein Wein mit Zimmertemperatur sein ganzes Bukett entfaltet, gleichzeitig aber all die Nuancen weckt und nachwirken lässt, die nur die Kälte in der Flasche freisetzt. Wahrscheinlich, weil er so gut zu Mittag gegessen hatte, geht der Reisende nicht zur Pfarrkirche, was er eigentlich hätte tun müssen, und zur Strafe findet er die Kirche Misericórdia, in der sich das von Gregório Lopes gemalte Bild ihres Schutzheiligen befindet, verschlossen vor. Ein andermal also. Eine noch zu begleichende Schuld.
    Nachdem der Reisende nicht einmal versucht hat, die Serra de Sintra zu beschreiben, wird er jetzt nicht der Versuchung erliegen, die Serra da Arrábida zu erklären. Nur so viel sagen, dass dieses Gebirge männlich, wohingegen das von Sintra weiblich ist. Wenn Sintra das Paradies vor dem Sündenfall ist, dann ist es Arrábida auf noch dramatischere Weise. Hier hat Adam sich schon mit Eva zusammengetan, und der Moment, in dem dieses Gebirge sich zeigt, ist der Augenblick vor dem großen göttlichen Zorn und dem Bannstrahl des Engels. Das Tier der Versuchung, das im biblischen Paradies die Schlange ist und in Sintra die Bachstelze wäre, hätte in Arrábida die Gestalt eines Wolfs.
    Natürlich sucht der Reisende in Metaphern auszudrücken, was er empfindet. Aber wenn er hoch oben von den Bergen das grenzenlose Meer sieht und am Fuß der Felsen den unhörbar brandenden weißen Saum, wenn er trotz der Entfernung im kristallklaren Wasser den Sand und die bemoosten Steine sieht, denkt der Reisende, dass nur große Musik ausdrücken könnte, was die Augen lediglich sehen. Oder nicht einmal Musik. Wahrscheinlich nur Schweigen, kein Laut, kein Wort und auch kein Gemälde; letztlich nur die Lobpreisung des Blicks: Ich preise euch und danke euch, meine Augen. So müssen die Mönche gedacht haben, die hier auf halber Höhe des Berghangs das Kloster bauten, geschützt vor dem Nordwind – jeden Morgen konnten sie sich dem Licht des Meeres, der Vegetation des Berghangs darbieten und sie den ganzen Tag lang anbeten. Der Reisende ist fest davon überzeugt, dass diese Mönche aus

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