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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Erfahrung zu bringen, was für Orte das sind und wer ihre Bewohner. Heute wird er nur durchfahren. Sein erstes Ziel ist Palmela, ein hochgelegenes Städtchen, in dem es so guten Wein gibt, dass man nach zwei Schlucken ein anderer Mensch ist. Nicht immer begibt sich der Reisende zu Burgen hinauf, doch hier bleibt er eine Weile. Droben vom Bergfried schweift der Blick über die Welt, und da er sich nicht sattsehen kann, schweift er weiter. Irgendwo unten im Ort findet ein Markt statt. Jemand preist über einen mächtigen Lautsprecher seine Waren an: Bettzeug und Kochtöpfe. Offenbar eine tüchtige Ver- käuferin. Ihre Stimme hallt über die Landschaft, und sie klingt so zufrieden, dass der Reisende sich nicht über die Störung ärgert.
    In der Zisterne unter dem Turm ist der Bischof von Évora Dom Garcia de Meneses gestorben. Vergiftet, wenn man Rui de Pina glauben darf. Das kann man wahrscheinlich. Da Dom João II. mit einem, der gegen ihn konspirierte, nicht das Gleiche machen konnte wie mit dem Herzog von Viseu, nämlich ihn eigenhändig ermorden, weil er als Bischof den Segen des Herrn über sich hatte, dürfte Gift ein effektives und diskretes Mittel gewesen sein, um den eigentlichen Kopf der Verschwörung zu beseitigen. Das hat sich 1484 zugetragen, vor gut fünfhundert Jahren, der Reisende ist erschrocken, wie schnell die Zeit vergeht, gestern noch war der Bischof Garcia de Meneses hier, nun nicht mehr.
    In Palmela muss man sich zwei Dinge ansehen: die Pfarrkirche wegen ihrer aus dem 18. Jahrhundert stammenden Azulejos mit Szenen aus dem Leben Petri und die aus dem 15. Jahrhundert stammende Kirche des Klosters Santiago, ein massives Bauwerk, das eher wie ein weiterer Bergfried innerhalb der Burg wirkt.
    Wer Vila Fresca de Azeitão sagt, sagt auch Quinta das Torres und Quinta da Bacalhoa. Und auch Palast der Herzöge von Aveiro, doch den hat der Reisende nicht besucht. Die Quinta das Torres ist ein beschaulicher Ort mit schönen Bäumen, die sich im großen See spiegeln. In dessen Mitte steht ein Pavillon im Stil der italienischen Renaissance, ein romantisches Gebäude, das keinem anderen Zweck dient, als dem Auge zu schmeicheln. In einer Galerie, von der man eine wunderbare Aussicht hat, befinden sich zwei Majolika-Paneele aus dem 16. Jahrhundert, auf denen die Brandschatzung von Troja und Didos Tod dargestellt sind, beides Szenen aus der Aeneis , wie allgemein bekannt. Auf der Quinta das Torres herrscht eine besinnliche, bukolische Atmosphäre, so ganz anders als die heutige Zeit, dass der Reisende meint, er habe eine Zeitreise gemacht und wandele hier nach der Mode des 17. Jahrhunderts gekleidet umher.
    Die Quinta da Bacalhoa vermittelt, obwohl älter, nicht den gleichen Eindruck, vielleicht weil zu deutlich die schweren Schäden zu sehen sind, wie sie die Jahre auch ohne Zutun von Vernachlässigung und mutwilliger Zerstörung, wie hier geschehen, verursachen. Was übrig geblieben ist, ist sehr schön und strahlt tiefe Ruhe aus. Die sogenannten »Lustpavillons«, zum See hin offen und mit schönen Azulejos ausgekleidet, die meisten davon beschädigt, bergen ein atmosphärisches Geheimnis. Bei all ihrer Nacktheit sind dieses die bewohntesten Räume, in denen der Reisende sich je aufgehalten hat. Und es gibt wohl kaum etwas, das so rätselhaft scheint wie die Aneinanderreihung der Türen, ständig rechnet man damit, dass jemand hereinkommt. Vom Eingang her betrachtet, wirken die »Lustpavillons« wie der erste, gefährliche Teil eines Labyrinths – das machen die permanent offenen Türbögen, als warteten auch sie darauf, dass jemand eintritt, um sich dann ein für alle Mal zu schließen. Auf einem Azulejo-Paneel wird die Geschichte von Susanna und den Ältesten erzählt. Susanna geht zum Bade, die beiden Alten wollen sich nicht damit abfinden, alt zu sein. Es ist ein getreues Abbild des Lebens: Türen, die sich öffnen, Türen, die sich schließen.
    Aber nicht alles ist so kompliziert. Der Mann, der den Reisenden hier begleitet, ist zwischen sechzig und siebzig Jahre alt. Er arbeitet seit seiner frühen Jugend hier, und die Platane, die ihnen jetzt Schatten spendet, hat er gepflanzt. »Wann?«, fragt der Reisende. »Vor vierzig Jahren.« Morgen kann der Mann tot sein. Die Platane ist noch jung – wenn sie keine Krankheit bekommt und nicht vom Blitz getroffen wird, kann sie hundert werden. Karamba, wie widerstandsfähig das Leben ist. »Wenn ich tot bin, steht sie noch hier«, sagt der Mann. Die Platane hört

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