Die Portugiesische Reise (German Edition)
sandigen Boden, nimmt einen zarten Halm, der neben einer der Stützen sprießt, zwischen zwei Finger und hört schließlich, als er den Kopf senkt, sein eigenes Herz schlagen.
Die verliebten Tiere
Der Reisende fährt zurück nach Amarante, auf der Straße, die am Rio Fornelo entlangführt, und diesmal hält er nicht an. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn Amarante hat etwas von einer Frau und kann einen unvorsichtigen Menschen für lange Zeit gefangen nehmen. Nach ein paar Kilometern erreicht man Telões. Hier steht ein Kloster mit einer hübschen, allerdings restaurierten Säulenhalle. Sobald der Reisende die Hauptstraßen verlässt, wird er fürstlich belohnt. Das Tal, in dem Telões erbaut wurde, ist weit und offen, irgendein Bach fließt hindurch, und als der Reisende die Kirche betritt, läutet es zur vollen Stunde. Mit einem verstärkten Glockenspiel und Lautsprechern an den vier Kardinalpunkten, die den Schlag der Glocken in alle Richtungen donnern. Der Reisende hätte das natürliche Ding-Dong dem elektronischen vorgezogen, aber seinetwegen wird der Fortschritt nicht vor diesen Tälern haltmachen. Hoch lebe also Telões und sein hochmodernes Glockenspiel. In der Kirche hängt ein Bild vom Tag Allerseelen, das die Aufmerksamkeit des Reisenden auf sich lenkt. Da ist der Erzengel Michael mit seiner heiligen Lanze, ein paar lodernde Flammen in ihrer natürlichen Farbe, aber der Blick wandert gierig zu der verurteilten Schönen mit ihren festen, appetitlichen Brüsten, die wollüstig in den Flammen aufgeht. Es ist nicht richtig, dass die Kirche die Versuchungen des Fleisches bestraft und sie hier in Telões gleichzeitig provoziert. Der Reisende verlässt das Heiligtum einer Todsünde schuldig.
Felgueiras liegt bereits hinter ihm, und da vorn kommt Pombeiro de Ribavizela, ein verwahrlostes Kloster, ein trauriger Anblick, wie ihn nur die Ruinen eines Klosters abgeben. Es ist fünf Uhr nachmittags, es wird langsam dunkel, und den Reisenden überkommt eine große Melancholie. Die Kirche ist feucht und kalt, die Wände haben Flecken, wo das Regenwasser durchgesickert ist, und der steinerne Boden ist von grünen Algen überwuchert, sogar in der Hauptkapelle. Hier eine Messe zu hören dürfte eine allgemeine Nachsichtigkeit bewirken, sowohl der Vergangenheit als auch der Zukunft gegenüber. Aber die Verwunderung des Reisenden erfährt ihren Höhepunkt, als die Aufseherin ihm erklärt, dass besonders die Sieben-Uhr-Messe sich großen Zulaufs erfreue, von überall her kämen die Leute. Angesichts dieses kalten und feuchten Klimas schaudert es den Reisenden: Wie mag es hier erst im Winter aussehen, wenn eisige Kälte und sintflutartige Regenfälle herrschen? Beim Hinausgehen zeigt ihm die Frau die Gräber zu beiden Seiten der Tür. »Das eine ist der Alte, das andere der Junge«, sagt sie. Der Reisende wirft einen Blick darauf. Die Gräber sind aus dem 13. Jahrhundert. Auf dem Deckel des einen ist Dom Gomes de Pombeiro abgebildet, und wahrscheinlich liegen darin seine Knochen. Das ist der Alte. Aber wer ist wohl der Junge? Die Aufseherin weiß es nicht. Also gibt sich der Reisende mit einer Erklärung zufrieden, die seiner eigenen Phantasie entspringt: Das andere Grab ist ebenfalls von Dom Gomes de Pombeiro, es wurde angelegt, als dieser noch ein Jüngling war und aus einer Schlacht schwere Verletzungen davontrug, denen er aber glücklicherweise nicht erlag. Das Grab wurde zur Abschreckung errichtet, und Dom Gomes de Pombeiro musste bis ins hohe Alter warten, um sich neben seinem eigenen Bild als junger Mann zur Ruhe zu legen. Das ist eine Möglichkeit von vielen, und der Reisende vertraut sie der Aufseherin gar nicht erst an, denn das hatte sie nicht verdient, dass man sich ihr gegenüber Späße mit den Toten erlaubte, zumal sie selbst weder ein Steingrab noch eine Statue darauf stehen haben würde, und wenn, dann hätte auch sie ein doppeltes Ebenbild verdient, als junge Frau, die sie einmal gewesen ist, und als Alte, mit eingefallenem Gesicht, gezeichnet von bitterer Trauer. Die Frau schließt die Kirche mit dem großen Schlüssel ab und geht zu den Ruinen des Klosters, wo sie wohnt. Der Reisende betrachtet die hohe Fassade, die Fensterrosette, und bewundert ein paar Minuten lang das hybride, aber wunderschöne Portal. Der Nachmittag geht wirklich dem Ende entgegen, niemand kann diesen Tag mehr halten.
Als der Reisende nach Guimarães kommt, sind die Straßenlaternen schon an. Er übernachtet in einer Mansarde mit
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