Die Portugiesische Reise (German Edition)
thronen, mangelt es immerhin nicht: »Sehen Sie die hohen Bäume dahinten, da müssen Sie links und dann geradeaus.« Der Reisende biegt also ab, jedenfalls meint er, es getan zu haben, denn dort sagt man ihm: »Sehen Sie die hohen Bäume dahinten, da müssen Sie rechts und dann geradeaus.« Endlich erreicht der Reisende sein Ziel. Das Haus sieht aus wie die meisten in der Gegend: kleine Landgüter, mit Haupthaus und zwei Seitenflügeln, die Besitzer teils dem Adel, teils der in den Adelsstand erhobenen Bourgeoisie entstammend, beide Gruppen Bauern, die von Land und Ernte abhängig sind und daher sture Händler. Nicht in diesem Fall. Dieses ist das Haus eines Dichters. Hier hat Teixeira de Pascoaes gelebt, und unter diesem Dach ist er gestorben.
Der Reisende geht den vom Regen aufgeweichten Weg entlang, hält einen Augenblick inne und wendet sich einem am Wegesrand gelegenen Weinkeller zu, um sich eine Vermutung bestätigen zu lassen: »Ob das dort das Haus des Dichters ist?« Ja, antwortet man ihm, ohne große Umschweife, und kümmert sich um andere Gäste, der Mann ist die Nachbarschaft gewohnt, und niemand ist etwas Besonderes in seiner Stammkneipe. Der Reisende behält in Erinnerung, wie er vorsichtig über ein paar Gummi- oder Plastikrohre steigen musste, die dort ausgebreitet lagen, und der Geruch der zerstampften Weintrauben, Pascoalwein, ein poetischer Most, begleitet ihn noch viele Kilometer lang, bis sich der Rausch verflüchtigt. Oder besser gesagt der Taumel.
Eine einfache Treppe, Blumentöpfe, umrandet von Moos und Flechten. Natürlich ist der Reisende eingeschüchtert. Er klopft an die Tür und wartet, dass ihm jemand öffnet: »Wenn man mich nicht einlässt, ist die ganze Reise ein Fehlschlag.« Dieses Haus ist kein Museum, es gibt keine festen Öffnungszeiten, aber ohne Zweifel einen Gott der aufrichtigen Reisenden, der jetzt zu ihm sagt: »Komm herein«, und als er sich vorstellt, ist es gar kein Gott, sondern der Maler João Teixeira de Vasconcelos, ein Enkel Teixeira de Pascoaes’, der ihm alle Türen öffnet zu einem Haus, das kostbar ist wie ein Granatapfel, und ihn bis zum Ende des Korridors begleitet. Der Reisende steht an der Schwelle zu dem Teil des Hauses, wo Teixeira de Pascoaes die letzten Jahre seines Lebens verbracht hat. Er wirft einen Blick hinein und wagt kaum einzutreten. Häuser, Orte, in denen Menschen leben oder gelebt haben, hat er viele gesehen. Aber nicht die Höhle eines zahmen Wolfes. Es sind drei hintereinanderliegende Räume, das Schlafund Arbeitszimmer, die Bibliothek und hinten das Kaminzimmer, das sagt natürlich gar nichts, denn die undefinierbare Lehmfarbe, in der alles gehalten ist, lässt sich kaum beschreiben, höchstens, dass der Ursprung dieser Farbe im Morgenlicht liegt. Ebenso schwer sagen lässt sich, welche plötzliche Erregung es ist, die die Augen des Reisenden mit Tränen füllt. In diesen Zimmern hat ein Wolf gehaust, das hier ist nicht das Haus eines alleinlebenden Landmenschen. Der Reisende wendet sich ab und trocknet seine sentimentalen Tränen, wie man sie wahrscheinlich nennen würde, wenn man nicht selbst hier gewesen ist, aber sicherlich verstünde man ihn besser, wenn man sich in Erinnerung riefe, dass Marão Casa Grande bedeutet und diesen Ort zu betreten dasselbe ist, wie auf dem höchsten Berg eines Gebirges zu stehen, mit dem Wind im Gesicht und den Blick auf die tiefen schwarzen Täler gerichtet. Teixeira de Pascoaes gehört nicht zu den Lieblingsdichtern des Reisenden, aber was ihn bewegt, ist das Haus dieses Mannes, das kleine Bett, wie das von Franz von Assisi, die Einfachheit dieser Eremitage, die Dose mit den Keksen für den nächtlichen Hunger, der schlichte Tisch für seine Verse. Wir alle hinterlassen der Welt, was wir in ihr geschaffen haben. Teixeira de Pascoaes hätte es verdient gehabt, diese andere seine Schöpfung mit sich zu nehmen: das Haus, in dem er gelebt hat.
Er muss weiter. Als der Reisende wieder hinaus in die Sonne tritt, ist es, als käme er von einem anderen Planeten. Er ist so in Gedanken versunken, dass er es, als er nach Amarante kommt, gar nicht richtig bemerkt, aber dann kommt er zu sich und muss sich über dieses Denkmal von Pascoaes ärgern, eine beschränkte, eine unangemessene Arbeit. Nachdem er einen Abschiedsblick auf die in einer Nische stehende Nossa Senhora da Piedade aus dem 14. Jahrhundert geworfen hat, fährt er zurück, über die Brücke und unter den großen Kronen der Pappeln hindurch zur
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