Die Portugiesische Reise (German Edition)
eines kurze Zeit später einsetzenden, verheerenden Regengusses empfangen. Er geht zum Kloster, ein riesiges Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das mit dem ursprünglichen Benediktinerkloster nichts mehr gemein hat. Diese Gegend steht unter der Obhut des Erzengels Michael. Gleich zwei befinden sich hier, einer über dem Portikus; und den anderen, überlebensgroß, sieht man von hier unten hoch oben über der Kuppel prangen, den Blick über die gesamte Landschaft geworfen, auf der Suche nach verlorenen Seelen. Der Erzengel muss alle seine Schlachten gewonnen haben, sonst stützten die Dämonen mit ihren ausgestreckten Zungen sicher nicht so tölpelhaft und erniedrigt die Pfeiler der Kirche, wie monströse Atlasfiguren aus Plastik, ohne jede Größe.
Der Reisende geht zurück zum Platz, und plötzlich fällt ihm ein, dass er den Basto nicht gesehen hat, ein Vergehen, das so wenig entschuldbar ist, wie nach Rom zu fahren und den Papst nicht zu sehen. Der Reisende ist es gewohnt, dass auf jedem öffentlichen Platz ein Denkmal steht, und so kommt er zu dem Schluss, dass entweder der Basto gestohlen worden oder dies nicht sein Rom ist. Also erkundigt er sich, und schließlich sind es nur zwei Schritte, zwischen Brunnen und Fluss. Wer ist dieser Basto? Man sagt, er sei ein galicischer Krieger gewesen, mit einem runden Schild vor dem Bauch, wie es damals Mode war. Darauf steht das Datum 1612, und er selbst sieht eher aus wie ein Junge mit aufgemaltem Schnurrbart und kurzen Hosen denn wie ein Kämpfer vergangener Zeiten. Auf dem Kopf trägt er ein Tschako aus der Zeit der französischen Invasion, und, um bei obigem Vergleich zu bleiben, er scheint seine Socken auf Geheiß seiner Mutter oder Großmutter stramm gezogen zu haben. Man ist geneigt zu schmunzeln. Der Reisende macht ein Foto, und der Basto nimmt Haltung an, schaut ins Objektiv, will ein gutes Bild abgeben, im Hintergrund die grünen Zweige, so wie es sich für einen Herrn über Land und Berge geziemt, was man vom Erzengel Michael, der weit entfernt auf seiner Kuppel steht, nicht sagen kann. Der Basto ist unleugbar eine der angesehensten Statuen Portugals, jeder ist ihm wohlgesinnt.
Misstrauisch blickt der Reisende zum Himmel. Es türmen sich ein paar ziemlich dunkle Wolken auf, frische Nachkommen derer, die für die Sintflut verantwortlich waren. Er überlegt, was er tun soll, ob er hierbleiben und einen heißen Kaffee trinken oder ob er sich auf den Weg machen soll, vielleicht in das nahegelegene Dorf Abadim. Da der Reisende auf der Suche nach dem Unbekannten ist, muss er Risiken in Kauf nehmen. Also fährt er nach Abadim, und es ist, als überschritte er den Rubikon. Nach weniger als einem Kilometer stürzt ein Wasserfall vom Himmel. Innerhalb von Sekunden ist alles weiß von den nicht enden wollenden Wassermassen. Ein zwanzig Meter entfernter Baum ist so schwer zu erkennen, als stünde er in dichtem Nebel. Aus den Bergen laufen Sturzbäche auf die Straße, die sich in einem schlimmen Zustand befindet. Der Reisende bekommt es mit der Angst zu tun. Er sieht sich bereits Hals über Kopf vom Wasser mitgerissen den Hang hinunterstürzen, zusammen mit Steinen und nassem Laub. Er fährt über eine kleine marode Brücke, und jetzt fühlt er sich schon sicherer, es geht bergauf, der Wagen hält gut durch, und ein paar tausend Kurven später erreicht er Abadim. Es ist keine Menschenseele zu sehen, alle haben sich verkrochen, die einen zu Hause, die anderen in irgendwelchen Unterschlüpfen. Der Regen ist weniger geworden, aber immer noch gießt es in Strömen. Der Reisende beschließt weiterzufahren, frustrierter, als er es sich eingestehen will. Da kommt eine junge Frau mit aufgespanntem Regenschirm vorbei, und er ergreift die Gelegenheit: »Guten Tag. Darf ich Sie etwas fragen? Treiben die Leute hier noch alle zusammen ihr Vieh in die Serra da Cabreira, oder macht man das nicht mehr?« Die Frau fragt sich wahrscheinlich, warum er das wissen will, aber sie ist sympathisch und höflich, und wenn sie etwas gefragt wird, dann antwortet sie auch: »Ja. Vom ersten Sonntag im Juni bis Mariä Himmelfahrt geht das ganze Vieh in die Berge, zusammen mit den Hirten.« Der Reisende versteht nicht recht, warum das Vieh so weit getrieben wird, aber die Frau erklärt ihm, dass es in der Serra da Cabreira eine Weide gibt, die zu Abadim gehört, und dort bringen sie das Vieh hin. Der Reisende erinnert sich an Rio de Onor, die Geschichte mit den Ländereien auf der anderen Seite, die zu
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