Die Portugiesische Reise (German Edition)
uns gehören, und die auf unserer Seite, die denen drüben gehören, und es wird ihm von Mal zu Mal bewusster, wie relativ doch der Begriff Eigentum ist, gemessen an den Vorstellungen der Menschen. Er verabschiedet sich von der Frau, die ihm eine gute Reise wünscht, und als er wieder auf der Straße ist und es kaum noch regnet, trifft er auf einen jungen Hirten von fünfzehn Jahren. Auf die Frage, wer er sei, antwortet er: »Ich hüte die Kühe von meinem Vater und ein paar anderen. Nein, Lohn bekomme ich keinen. Wenn die Kälber verkauft sind, wird das Geld unter den Besitzern aufgeteilt. Für mich bleibt nur wenig übrig. Aber wenn ich älter bin, höre ich auf, dann werde ich Mechaniker in Cabeceiras.« Der Reisende fährt weiter und denkt: »Der wird nie mit den Kühen in die Serra da Cabreira laufen, und irgendwann wird er sogar vergessen, dass er Weideland besitzt. Wo man gewinnt, verliert man, wo man verliert, gewinnt man.« Und mit solchem Philosophieren vertreibt er sich die Zeit auf dem Weg nach Mondim de Basto und Celorico ohne weitere Abenteuer, als die Landschaft zu betrachten, überall nur Berge und Felsen, und dann in Mondim ein ganz hoher, aber der ist weit weg.
In Guimarães hat der Reisende noch Zeit genug, die Igreja de São Francisco anzusehen, wo ihn ein gewissenhafter Küster empfängt, der sein Handwerk versteht. Die Azulejos aus dem 18. Jahrhundert sind wunderschön, fließend angelegt und in Einklang mit dem gotischen Gewölbe der Hauptkapelle. Auf dem Baum des Jesse in einer anderen Kapelle sitzen ein paar fröhliche Könige wie Goldammern auf den Ästen und schmücken die gekrönte Jungfrau. Der Reisende geht in die Sakristei und ins Kloster, hört sich die Erläuterungen des Küsters an und bestaunt, als er zurückkommt, die Schnitzereien im Hauptschiff, die sich wie blütentreibende Balken über die Kapellen erstrecken. Der Küster bleibt, als er seinen Text aufsagt, ein Stück zurück, während der Reisende auf die entzückende Miniatur der Klause von Bonaventura stößt, die über einem Altar eingelassen ist, die puppe am Tisch sitzend, in ihre frommen Schriften vertieft, umgeben von Bücherregal, Mitra, Stab und Kreuz zur einen Seite, dem Teeservice zur anderen, diverse Becher und Krüge zu den Füßen, ein an der Decke hängender Vogelkäfig, Stühle für Besucher, ein Rechenschieber, das wohlbehütete Kruzifix, kurz, das schöne Leben eines hochrangigen Geistlichen, ausgestellt in einer Kiste von einem halben Meter Länge und fünfunddreißig Zentimetern Breite und Höhe. Bonaventura, der Kirchenlehrer war und der »Doctor seraphicus« genannt wurde, ein hochgestellter Franziskaner, fand schließlich seinen Platz in dieser Spielzeugkiste, vielleicht das Werk einer Nonne, die sich damit einen Sitz im Himmel der Geduldigen sicherte. Der Reisende verlässt die Kirche, hält einen Moment inne und schmunzelt bei dem Gedanken. Und als er die Kapitelle des gotischen Portals genauer betrachtet, bemerkt er plötzlich die Liebe zwischen diesen beiden Tieren, die die Köpfe aneinanderschmiegen und ihre Herzen miteinander verbinden und voller Glück in das komplizierte Schauspiel der Welt hinauslächeln. Der Reisende hört auf zu lächeln, betrachtet das Lächeln im Stein und verspürt einen ungeheuren Neid auf den Bildhauer, dem es gelang, diese verliebten Tiere darzustellen. In dieser Nacht träumt der Reisende wieder, diesmal aber sind es lebendige Steine.
Wo Camilo nicht ist
Dem Reisenden wurde oft gesagt, Guimarães sei die Wiege der Nation. Er hat es in der Schule gelernt und bei diversen Reden gehört, Grund genug also, sich als Erstes in Richtung des heiligen Hügels zu begeben, wo die Burg steht. Früher durfte auf dem Gelände ringsum keine größere Vegetation wachsen, um den Heerscharen bei ihren Ausfällen kein Hindernis zu sein und damit sich die Feinde dort nicht verstecken konnten. Heute befindet sich hier ein Park mit sorgfältig angelegten Alleen und üppigen Hainen, ein schöner Ort für Frischverliebte. Der Reisende, der mit seinem Respekt vor der Geschichte immer etwas übertreibt, sähe den Hügel am liebsten ganz kahl, mit seinen achthundert Jahre alten, lediglich von unverwüstlichen Gräsern bewachsenen Felsen. So, wie es jetzt ist, entgeht einem der ehrwürdige Schatten Afonso Henriques’, man findet den Weg zum Eingang nicht, und wenn man dann vor lauter Ungeduld querfeldein abzukürzen versucht, kann man sich des städtischen Aufpassers gewiss sein, der von
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