Die Portugiesische Reise (German Edition)
aus. Auf gleicher Höhe ein farbiges Wappenschild. »Das hat etwas zu bedeuten«, denkt er. Er geht ein paar Schritte weiter, sieht nach oben, und da ist sie. Die Frontseite der Kapelle, der hohe Glockenturm, die Zinnen. Wäre der Reisende nicht so neugierig gewesen, hätte er das ignorante Liebespaar getadelt, sie hätten nicht viel vom Leben zu erwarten, wenn sie von der Liebe so viel wüssten wie von den Sehenswürdigkeiten ihres Landes. Stattdessen sagt er nur: »Das da ist die Kapelle. Merkt euch das, falls noch mal jemand vorbeikommen sollte und danach fragt.« Zerstreut antworten sie: »Ja, ist gut«, und turteln weiter. Vielleicht verstehen sie ja doch etwas von der Liebe.
Wer diesen Teil der Mauer heruntergerissen hat, wusste, was er tat. Nur so gelingt es dem Reisenden, auf das Grundstück zu kommen, über die Steine zu klettern und auf der anderen Seite, aufgeregt wie ein Kind vor dem Marmeladentopf, von oben bis unten die Fassade der Capela da Senhora do Amparo zu mustern, von der in Aquilinos Buch Casa Grande de Romarigães die Rede ist. Der Reisende ist kein besonders bescheidener Mensch, aber in diesem Fall gebietet es ihm sein Verstand, das Wort an jemanden zu übergeben, der es verdient und ein Recht darauf hat, und das ist Aquilino. Seine Worte waren: »An der gesamten Fassade, abgesehen vom unteren Teil mit seiner schlichten Tür, deren Pfosten immerhin wie bei Kapitellen mit Blumenornamenten verziert waren, sowie zweier vergitterter Fenster, die in ihrer Struktur Nähe zur Renaissance aufwiesen, gab es nicht einen Stein, der nicht eher das Werk eines Goldschmiedes als das eines Bildhauers war. Die Kapelle war vielgestaltiger als der Einband eines Buches aus dem 18. Jahrhundert. Und mit ihren vier Zinnen, die in ihrer Zwiebelform einem viereckigen Pilaster entspringen, und dem Glockenturm im Stil eines orientalischen Pavillons sah sie tatsächlich aus wie eine Pagode, die Spitzen und Zinnen symmetrisch zu den Wipfeln der Pinien und Ulmen, die sich weiter hinten im Wald erheben, in aus dem Himmel strömendem Licht.« Der Reisende zählt die Zinnen und kommt nur auf zwei, die Zeit richtet großen Schaden an, oder aber Aquilino Ribeiro hat sich geirrt.
Der Reisende ist schon an vielen Orten gewesen, teilweise hat es sich sehr gelohnt, teilweise weniger. Aber Romarigães verlässt er zutiefst erfüllt. Als er an dem jungen Paar vorbeikommt, verabschiedet er sich und stellt fest, dass die beiden, auch wenn sie nicht wussten, wie die Kapelle hieß, doch sehr wohl gewusst haben müssen, dass hier das Paradies war, sonst hätten sie sich wohl kaum dort getroffen, Eva und Adam.
Der Reisende fährt hinunter nach Caminha, den Rio Coura entlang. Linker Hand liegt das Argagebirge, ein kahlrasierter Gebirgszug, von der Sonne beleuchtet, der richtige Ort für Mondscheingedichte und Wölfe. Das Gebirge ist nicht sehr hoch, kaum mehr als achthundert Meter, aber dafür umso weitläufiger und damit abschreckend genug für den Reisenden. Nachdem er in Caminha den Palácio dos Pitas aus dem 16. Jahrhundert mit seinen angeschrägten Zinnen und den Gitterstäben vor den zerschlagenen Fenstern besichtigt und die Uhrzeit auf dem Uhrturm, der noch zur alten Stadtmauer gehörte, auf ihre Richtigkeit überprüft hat, geht der Reisende zur Pfarrkirche, einer Mischung aus Festung und Gottestempel, wo das Gotische ins Manuelinische übergeht und dann in die Renaissance. Vom architektonischen Geist her, mehr denn von der Bildhauerei, gehört das Seitenportal zur Renaissance, mit seinen Medaillons, auf denen halbe Figuren zu sehen sind, die sich beim Reisenden nach dem Weltgeschehen erkundigen, während die Apostel in ihrem gotischen Traum verweilen. Der Brunnen ist das Werk eines gewissen João Lopes, wahrscheinlich derselbe, der den von Viana do Castelo gestaltet und erbaut hat.
Der Tag geht dem Ende entgegen. Der Reisende fährt weiter am Rio Minho entlang, durch Vila Nova da Cerveira, wo er bedauernswerterweise keinen Halt macht, und durch Valença; er will das letzte Licht draußen nutzen. Da ist die Mauer des Gutes Pias, das geneigte Kreuz, ein Stück weiter fließt der Fluss, unter dem Blätterwerk der Weinreben, zum Greifen nah. Kurz vor Monção biegt der Reisende nach Pinheiros ab, nur um erneut wie ein Bettler vor verschlossener Tür zu stehen und sich den Palácio da Brejoeira von außen anzusehen, die weitläufige Terrasse, so unerreichbar wie der Himalaja, mit dem Hinweis, dass das Gelände unter polizeilicher
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