Die Portugiesische Reise (German Edition)
Bewachung steht. Nach kurzem Abwägen und der Feststellung, dass hier die Kräfte ungleich verteilt sind, tritt der Reisende den Rückzug an. Er wird später belohnt, als er am Straßenrand eine strahlend gelbe Platane entdeckt. Die tiefstehende Sonne durchdringt die Blätter wie ein Kristall, und so bleibt der Reisende, ohne unliebsame Attacken fürchten zu müssen, vor diesem kostenlosen Spektakel stehen, solange das Licht es zulässt. Als er nach Monção kommt, gehen die ersten Straßenlampen an.
Die Mädchen von Castro Laboreiro
In Monção trug sich die Geschichte zu, die man eine Zeit lang jedem Kind erzählte, zu einer Zeit übrigens, als er selbst eins war, jene Geschichte von Deuladeu Martins, einer klugen Frau, die, als der Ort belagert wurde und es an Lebensmitteln mangelte, den letzten Rest Mehl kneten und backen ließ und dann, großen Wohlstand vortäuschend, die duftenden Kekse von den Mauern warf und so die Truppen Heinrichs II. von Kastilien, die die Burg einnehmen wollten, von der Sinnlosigkeit der Belagerung überzeugte und zum Abzug bewegte. Das war im Jahre 1368, in einer Zeit, die sich wohl durch große politische Naivität auszeichnete, wenn man sich von solch simplen Kriegslisten beeindrucken ließ. Heute sind die Zeiten anders, und Monção befindet sich in der Rolle des Bittstellers, dem Chorknaben nach zu urteilen, der mit mitleidig flehendem Gesichtsausdruck am Eingang einer Kirche steht und die Spenden der mitfühlenden Herzen entgegennimmt. Der Reisende hat eigentlich mit ganz anderen Sentimentalitäten zu kämpfen, aber dieses herzergreifende Bild ist doch hängengeblieben. So wie auch die übertrieben barocken Engel, die in besagter Kirche zu beiden Seiten des Hochaltars stehen, außerdem ein riesiger Senhor dos Passos, dramatisch und erschreckend, in der Pfarrkirche, wo sich im Übrigen auch das Grabmal der Senhora Deuladeu befindet, ein Akt familiärer Verehrung seitens eines Urenkels.
Bis nach Melgaço entfaltet sich eine angenehme Landschaft, die sich aber nicht wesentlich von dem unterscheidet, was man im Minho sonst zu sehen bekommt. Jedes dieser Stoppelfelder würde in weniger begünstigten Landstrichen eine landwirtschaftliche Kostbarkeit darstellen, aber hier sind die Augen anspruchsvoller geworden und nicht mehr so leicht zufriedenzustellen. Melgaço ist ein kleines altes Städtchen mit einer Burg, eine mehr im Katalog des Reisenden, und der Burgturm ist etwas wirklich Sehenswertes, wie er sich, einem Vater gleich, über die Häuser erhebt. Der Turm ist geöffnet, es gibt eine Eisenleiter, und drinnen herrscht eine respekteinflößende Dunkelheit. Der Reisende setzt langsam einen Fuß vor den anderen, immer in Erwartung, dass ein Balken bricht oder eine Maus aufspringt. Diese Angst ist ganz natürlich, der Reisende wollte nie ein Held sein, aber die Planken sind stabil, und für Mäuse gibt es hier nichts zu knabbern. Oben vom Turm wird dem Reisenden klar, wie klein die Burg ist, bestimmt gab es damals nicht viele Menschen in dieser Gegend. Die Straßen im alten Teil der Stadt sind schmal und haben eine gute Akustik. Sie strahlen große Ruhe aus. Die Kirche ist von außen hübsch, aber innen vollkommen banal, abgesehen von einer gut getroffenen Santa Barbara . Der Pater öffnet die Tür und zeigt ihm die Arbeiten in der Sakristei. Draußen will ihm ein Schuster einen Affen über einer Tür auf der Nordseite zeigen. Der Affe ist kein Affe, sondern eine dieser ausgedachten mittelalterlichen Kreaturen, wer will, kann einen Wolf darin erkennen, aber der Schuster ist stolz auf das Tier, er ist schließlich sein Nachbar.
Gleich hinter Melgaço kommt Nossa Senhora da Orada, es liegt am Wegesrand, auf einer leicht erhobenen Ebene, und wenn ein Reisender schnell und unaufmerksam ist, fährt er einfach daran vorbei und fragt sich dann, Nossa Senhora, wo bist du? Die Kirche steht hier seit 1245, das sind schon weit mehr als siebenhundert Jahre. Der Reisende muss seine Worte wohl bemessen. Er sollte mit den Adjektiven nicht zu verschwenderisch umgehen, sie sind eine Pest für den Stil, vor allem wenn eigentlich ein Substantiv erforderlich ist, so wie in diesem Fall. Aber die Kirche Nossa Senhora da Orada, ein kleines, dezent restauriertes romanisches Bauwerk, ist ein solches Meisterwerk an Bildhauerei, dass jedes Wort zu viel wäre, weil es zu wenig sagen würde. Hier braucht man Augen, einen fotografischen Blick, der das Spiel des Lichtes verfolgt wie eine Filmkamera, und außerdem
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