Die Portugiesische Reise (German Edition)
ihn langsam vorbeiziehen, während die Felsen immer enger zusammenrücken.
Er will sich gerade verabschieden. Er ist der Strecke, der großen Gebirgskette, der hohen Spitzen der Berge wegen hierhergekommen, und als er den Blick schweifen lässt, sieht er plötzlich zwei Mädchen, die ihn mit ernstem Gesicht anschauen und für kurze Zeit ihre Aufmerksamkeit von einer Puppe in einem langen weißen Kleid abwenden. Es sind zwei Mädchen, wie er sie noch nie gesehen hat: Sie sitzen in Castro Laboreiro im Schatten eines Baumes und spielen, das jüngere trägt das lange Haar offen, das andere Zöpfe mit roten Bändchen, und beide starren ihn an. Sie lächeln nicht, als sie in die Kamera blickten, wer so ein offenes Gesicht hat, der muss nicht lächeln. Der Reisende preist in Gedanken die Wunder der Technik: Das Gedächtnis, das untreue, kann sich in diesem farbigen Viereck neu erfinden, den Augenblick rekonstruieren, es weiß, dass der Rock ein Schottenmuster hatte, die Zöpfe kraus waren, die Strümpfe aus Wolle, der Scheitel in der Mitte und dass, welch unverhoffte Entdeckung, noch eine andere Puppe da war, die nach hinten gefallen war und die Hand hob, traurig, dass sie nicht ganz auf dem Foto zu sehen ist.
Das Schicksal richtet die Dinge nicht immer schlecht ein. Um die Kirche Nossa Senhora da Orada und die Mädchen in Castro Laboreiro zu sehen, musste der Reisende rund hundert Kilometer fahren. Jetzt soll jemand es wagen zu protestieren, wenn er der Meinung ist, es hätte sich nicht gelohnt. Zudem da außerdem noch sind: die steinernen Riesen, der Affe in Melgaço, das Flugzeug am Himmel, die Spiegel aus Wasser und die kleine Brücke aus losen Steinen, die nur für Fußgänger und Kleinvieh bestimmt ist.
Der Reisende biegt nach Monção ab, hier werden die hundert Kilometer voll, und sucht die Straße nach Longos Vales. Unter all den schönen Namen, die es in Portugal gibt, hat Longos Vales einen besonderen Nachhall, man muss nur Loooongos Vaaaales sagen, und schon weiß man alles, fast alles, denn in diesem Gesang allein lässt sich noch nicht die Schönheit der Apsis der Pfarrkirche erahnen, mit ihren Simsen, auf denen sich groteske Tiere und menschliche Figuren mit verzerrten Proportionen tummeln. Die äußerst enge Luke, die bereits den Steinwürfen der Kinderschar als Zielscheibe gedient hat, ist mit diversen Nachrichten aufs beste verziert. Angesichts der Kapitelle kommt dem Reisenden ein alter Gedanke in den Sinn: Die Entschlüsselung solcher Kompositionen, die zu komplex sind, um uninteressant zu sein, würde viel über das mittelalterliche Denken aussagen. Wahrscheinlich ist schon alles erforscht und entschlüsselt, das muss der Reisende nachlesen, wenn er die Zeit dazu findet.
Hinter Merufe, das an einem Nebenfluss des Rio Mouro liegt, führt die Straße wieder bergauf bis zum Rio Vez, zuerst am nördlichen Ufer entlang, dann am südlichen, und hier verspürt er das Bedürfnis, aufzustehen und nach Gerechtigkeit zu schreien. Häufig ist die Rede von der ländlichen Idylle und Sanftheit der Flüsse Lima, Cávado und Minho. Mag ja sein, dass sie auf ihre Art alle sehr schön sind. Aber der Rio Vez, auf der Höhe von Sistelo, wo der Reisende auf ihn stößt, und dann der Rio Cabreiro, der in ihn fließt, sind wahrhafte Wunder, die in sich Süße und Schroffheit vereinen, die Harmonie der grünen Terrassenhänge und die steinigen Flussbetten, alles in einem glücklichen Licht, das allmählich schwindet und Linie für Linie, Farbe für Farbe, die schönste Landschaft umreißt, die man sich vorstellen kann. Daneben stellt der Reisende, was er vom Rio Tuela in Erinnerung behalten hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Hauptstraße liegt auf der anderen Seite, aber der Reisende bevorzugt die, die über Gondoriz und Giela nach Arcos de Valdevez führt. Die Kirche von Gondoriz erhebt sich wie eine Kulisse über dem Tal, ein theatralischer Bau aus dem 18. Jahrhundert, zweifellos ein gelungenes Bild für den Triumph der Kirche. Und das ihr gegenüberstehende Kruzifix unterstützt sie in diesem Geiste mit seinem spiralförmig gedrehten Schaft und der farbigen Pietà , die sich gegen die Sonne abzeichnet. Einige Kilometer weiter unten, kurz vor Arcos de Valdevez, liegt Giela. Hier legt der Reisende eine längere Pause ein. Er fährt einen gut in Schuss gehaltenen Weg den Hügel hinauf und erblickt schon auf halbem Weg die Zinnen des Turms, der gut sichtbar in ein kreisrundes Gelände zwischen bewaldete Berge gesetzt
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