Die Portugiesische Reise (German Edition)
wurde. Der Reisende ist nervös, das ist jedes Mal so, wenn er sich einem Ort nähert, den er schon immer gern kennenlernen wollte. Hier befindet sich eine herrschaftliche Residenz aus dem 16. Jahrhundert, die, das muss der Reisende, der jetzt vor ihr steht, einmal sagen, eine der schönsten ihrer Art im ganzen Land ist. Der Turm ist älter, Ende 15. Jahrhundert, und angeblich ein Geschenk von Dom João I. an Fernão Anes de Lima nach der Schlacht von Aljubarrota: Das Haus, nicht ganz so alt, hat ein schönes manuelinisches Fenster, das auf den Hof hinausführt.
Hier wohnt weder Adel noch Großbürgertum. Niemand wohnt hier. Das Haus dient als Speicher, überall in den baufälligen Stockwerken liegen Maiskolben verstreut, und wo der Reisende seinen Fuß auch hinsetzt, knarren die Balken. Der Junge, der ihn begleitet, auf Anweisung seines Vaters, der das Amt des Verwalters bekleidet, hüpft wie ein junges Reh über die Berge von Maisblättern, schreckt die Hühner auf und weist umsichtig auf größere Risse im Boden hin. Von der Decke hängen die Latten wie ein großes Segel hinunter, als würde der Wind in sie hineinblasen. Das Ganze ist eine Ruine. Die gute Beschaffenheit der Außenmauern hält der Zeit stand, aber der Holzfußboden im Innern ist dem Mais und den Hühnern gnadenlos ausgeliefert: Irgendwann bricht er durch.
Der Reisende zieht traurig von dannen. Wer soll dich noch retten, Palast von Giela?
Vielleicht aufgrund dieser tristen Umstände fährt der Reisende durch Arcos de Valdevez, ohne anzuhalten, aber als er nach Ponte da Barca kommt, beschließt er, sich nicht entmutigen zu lassen, und setzt seinen Weg in die Serra Soajo fort. Er folgt dem Rio Lima, den in diesen Höhen sehr sanften Ufern, sieht, wie das Wasser über die Stromschnellen springt, und kurz darauf geht es wieder bergauf, weg vom Fluss, der nie in weite Ferne rückt, aber immer unerreichbar bleibt. Als der Reisende die Gabelung vor Ermelo erreicht, muss er sich entscheiden: Entweder überquert er den Fluss in Richtung Soajo, oder er fährt weiter nach Lindoso. Er entscheidet sich für Lindoso. Es geht immer bergauf, er zählt die Kilometer, was für eine lange Reise, die ihn in so entlegene Gegenden führt.
In Lindoso gibt es die Burg und die Maisspeicher, alle schön verschlossen. Also gut. Die Burg ist dem Reisenden egal, und die Maisspeicher kann man auch von außen betrachten, dazu braucht man den Mais nicht in seiner Ruhe zu stören. So, wie die Speicher aufgestellt sind, bilden sie eine eigene kleine Stadt. Es gibt alte, von Flechten befallene Bauten, aus dem 7. oder 8. Jahrhundert, und andere ganz moderne. Aber alle haben den gleichen traditionellen Grundriss: ein Satteldach, den Rumpf auf Stützpfeilern, dazwischen etwas, das an Kapitelle erinnert, hier aber Tisch genannt wird, eine schlichte, aber einfallsreiche Vorrichtung, die den Mais vor den Mäusen schützt. An einigen wurden die Steingitter schon durch Holztafeln ersetzt, ein Zeichen dafür, dass die Preise der Steinmetzen gestiegen sind, ein halbes Dutzend Latten kann jeder anbringen. Hier würde der Reisende gern nachts im Mondlicht spazieren gehen. Diese Stadt aus Stelzenhäusern auf Pfählen ohne Wasser dürfte nachts interessante Schatten werfen: Der Schatten eines Mannes, der hier umherginge, könnte einiges dabei lernen.
Der Reisende macht sich wieder auf den Weg, er will nach Bravães, das hinter Ponte da Barca liegt, und bis er da ist, wird vom Tag nicht viel übrig sein, das Licht scheint horizontal und lohfarben, die Sonne wird gleich untergehen und der Himmel rosarot leuchten. Die Kirche von Bravães hat ein reichskulptiertes, romanisches Portal, eine Art sublimierter Abriss aller möglichen Themen und Motive von hier bis Galicien. Die Stierköpfe über den Seitenpfosten haben Generationen vorbeiziehen gesehen, vielleicht eine Reminiszenz an andere Kulte, wie die der Sonne und des Mondes, die man oft in Verbindung mit christlichen Symbolen findet. Der Reisende betritt die Kirche, in der es bereits düster ist, erkennt nur undeutlich einen an die Wand gemalten heiligen Sebastian, gleich neben dem Triumphbogen, und er ist überrascht, in dem Gesicht des Heiligen eher ein junges Fräulein als einen Offizier der römischen Armee zu sehen. Aber diese Dinge ändern sich ja fortwährend, was einmal war, ist nicht mehr oder ist jetzt anders, wie im Fall des heiligen Sebastian, der, ohne in die Hagiographie eingreifen zu wollen, im Zirkus totgeprügelt wurde, aber
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