Die Porzellanmalerin
unglaublich peinlich!
Fieberhaft überlegte sie, wie sie die Situation retten konnte. Ja, es gab nur eins: Wenn sie es sich nicht für alle Zeiten mit Carl Bogenhausen verderben wollte, musste sie ihm jetzt auf der Stelle sagen, dass sie eine Frau war. Es war die einzige Lösung, einen anderen Weg gab es nicht. Vielleicht würde das noch helfen, ihn wieder halbwegs milde zu stimmen.
Sie streckte die Hand aus, um ihn am Arm zu berühren.
»Herr Bogenhausen, ich bin … ich bin eine …«
»Wagen Sie es bloß nicht, mich anzufassen! Unterstehen Sie sich!«
Er hatte seinen Arm so hastig zurückgezogen, als fürchtete er, von einer Schlange gebissen zu werden.
»Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen, Herr Rütgers«, fügte er nach einem kurzen Moment etwas freundlicher hinzu. »Ich lasse Ihnen die Sachen gleich morgen nach Höchst bringen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte …«
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürzte er die schmale Holztreppe hinauf und verschwand im Comptoir. Die Zwischentür hatte er offen gelassen. Wie vor den Kopf gestoßen kletterte auch sie nach oben und schlich an dem verblüfften Alessi und dem feixenden Lehrjungen vorbei ins Freie.
»Du Idiot! Du alter Idiot!«
Sie war kaum auf den sonnendurchfluteten Hof hinausgetreten,
als sie quer über das Gelände eine wutverzerrte Stimme brüllen hörte. Ein Mann, der fast genauso aussah wie Carl Bogenhausen, aber schon etwas in die Breite gegangen war, sprang aus einem gerade einfahrenden Einspänner.
»Das machst du mit Absicht! Nur um mich zu ärgern! Drei Leute haben mich auf dem Weg vom Römer bis hierher angesprochen, um mir zu erzählen, dass du schon wieder mit diesem jüdischen Schmierenschreiber im Kaffeehaus zusammengehockt hast!«
Seine Kleidung war an vornehmer Schlichtheit nicht zu überbieten. Dunkel und drohend stand er mit der Peitsche in der Hand vor seinem Bruder. In seiner Raserei hatte er Friederike, die sich gegen die Hauswand drückte, gar nicht bemerkt.
»Drei Leute, alle aus dem Rat!«, fuhr er mit seiner Schimpftirade fort. »Du bist derart rücksichtslos, Carl! Ich beantrage beim Kaiser unsere Nobilitierung, und du treibst dich in der Gosse herum. Es kostet einen Haufen Geld, uns adeln zu lassen! Das soll unsere Familie voranbringen, begreifst du das nicht? Ausgerechnet mit Kornfeld zeigst du dich in der Öffentlichkeit! Den sollte man überhaupt nie rauslassen aus der Judengasse! Und seine Gazette gehört sowieso verboten! Wie kann der Rat ein so aufrührerisches und verlogenes Drecksblatt zulassen, frage ich mich!«
»Es reicht, Emanuel«, unterbrach ihn sein jüngerer Bruder.
Auch er hatte Friederike nicht bemerkt. Sein Gesicht war noch immer kalkweiß.
»Es reicht nicht!«, schrie Emanuel Bogenhausen aufgebracht. »Es befinden sich Gesandte des Kaisers in der Stadt. Erst im vergangenen Jahr hat der Kaiser den L’Avant Coureur verboten, wie du dich vielleicht erinnerst. Jetzt drucken sie wieder, aber das wird nicht lange gut gehen. Du bringst Schande über unsere Familie, Carl! Ist dir das eigentlich klar?«
Ein scharfer Knall ertönte, als er mit der Peitsche gegen seinen Reitstiefel hieb.
Wie zwei Kampfhähne, bevor sie einander an die Gurgel gehen,
dachte Friederike beim Anblick der Brüder. Sie überlegte, ob sie sich von Carl Bogenhausen verabschieden sollte. Nein, sie würde ihn nur noch mehr demütigen, wenn sie sich als Zeuge des Familienzwists zu erkennen gab. Im Schatten der Hauswand huschte sie rasch vom Hof.
»Dieser Kornfeld ist doch nichts anderes als der Sohn eines Schrotthändlers, der die Nase zu hoch trägt …«, war das Letzte, was sie hörte, als sie durch den Torbogen auf die Straße trat.
Ü ber eine Stunde war sie vom Großen Kornmarkt aus durch die verwinkelten Gassen geirrt, bis sie am Leonhardstor unten am Main angekommen war. Sie hatte sich in der wärmenden Nachmittagssonne auf ein Fass gesetzt, das zum Stand eines Benders gehörte und etwas ins Abseits gerollt war. Vor dem Stand stritt eine rotbäckige Winzerin mit dem Bender darüber, ob sie ihre Fässer in Naturalien, also in Wein, bezahlen könne oder nicht. Um die beiden herum standen in wildem Durcheinander Eimer, Zuber, Kübel, Bottiche und Fässer jeder Größe. Ein paar rotznäsige Kinder und frei laufende Schweine vervollständigten das Tohuwabohu. Friederike schüttelte den Kopf. Hatte der Mann keine Frau, die ein wenig Ordnung in sein Leben brachte? Wie wollte der Bender unter solchen Umständen
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