Die Porzellanmalerin
seinen Geschäften nachgehen? So konnte das doch nichts werden …
Aber das sollte nicht ihre Sorge sein: Mit ihren eigenen Problemen hatte sie genug zu tun. Sie holte tief Luft. Ihr war noch immer fürchterlich zumute. Wie dumm sie sich benommen hatte, wie abgrundtief dumm! Bei dem Gedanken an den Kuss im Lager schoss ihr erneut die Schamesröte in die Wangen. Ein Glück, dass die Leute um sie herum sie nicht kannten und nicht wussten, was sie Erbärmliches getan hatte. Was war bloß in sie gefahren, wie hatte sie nur Carl Bogenhausen mit Giovanni verwechseln und ihn küssen können? Wie war sie überhaupt auf diese völlig hirnrissige Haremsgeschichte gekommmen? Getanzt hatte sie, sich in den Hüften gewiegt, sich diesem fremden Mann buchstäblich
an den Hals geworfen! Es hätte nur noch gefehlt, dass sie wirklich eine Art Schleiertanz vollführt und langsam Kleidungsstück für Kleidungsstück abgelegt hätte. Fast musste sie lachen, so absurd erschien ihr die ganze Situation. Wenn das alles nur nicht so peinlich gewesen wäre! Darüber, dass ihr Verhältnis zu Carl Bogenhausen alias Richard Hollweg jemals wieder ein freundschaftliches sein könnte, brauchte sie sich wohl keine Illusionen zu machen. Bei ihm war sie unten durch, so viel war sicher. Kaum vorstellbar, dass er eine Entschuldigung annehmen würde, falls sie überhaupt irgendwann die Gelegenheit dazu bekommen sollte. Sie würde es natürlich versuchen, keine Frage, und wenn sie ihre Identität dafür preisgeben müsste. Immerhin hatte er ihr das Leben gerettet - eine Aufklärung dieser abscheulichen Kussangelegenheit war das Mindeste, was sie ihm schuldig war.
Plötzlich fiel ihr das Versprechen ein, das Carl Bogenhausen ihr wenige Minuten vor dem Eklat gegeben hatte. Die Gewürze, die er ihr schicken lassen wollte! Na, die konnte sie jetzt vergessen. All diese Reichtümer - dahin mit einem einzigen Kuss! Verzweifelt stöhnte sie auf. Auch das noch! Wie hatte sie sich darauf gefreut, Josefine mit all den Schätzen zu überraschen, die sie im Bogenhausen’schen Magazin entdeckt hatte!
Selten hatte sie sich so elend gefühlt. Sie hatte so viel Spannendes erlebt an diesem Tag: Sie hatte das schönste Porzellan ihres Lebens gesehen, eine Arbeitsstelle in China angeboten bekommen, sie hatte ihren Hanauer Lebensretter wiedergetroffen, bei anregender Unterhaltung hervorragend gegessen und dazu köstlichen Wein getrunken, und fast wäre sie reich beschenkt worden. Und dann musste alles in einem solchen Desaster enden! Abgesehen davon, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie Benckgraff unter die Augen treten sollte, wenn er von ihr wissen wollte, was die Konkurrenz an Neuerungen auf den Markt gebracht hatte. Na ja, wenigstens war sie Georg nicht über den Weg gelaufen.
Bedrückt lauschte sie den melancholischen Weisen einer Zigeunerkapelle, deren Klänge vom Fahrtor bis zu ihr herüberwehten.
Ein Bettler mit einer Krücke näherte sich ihr humpelnd. Schon sah sie ihren Platz auf dem Fass bedroht, als sich zwei Stadtbüttel an den Mann heranpirschten und ihn zu einem Karren zerrten, auf dem vor lauter anderen Bettlern und Huren kaum mehr ein Stehplatz war. Sie würden das Gesindel vor den Toren der Stadt aussetzen - um am nächsten Tag die gleiche Prozedur zu vollziehen.
Als es von Sankt Leonhard vier Uhr schlug, beschloss sie, für heute gar nicht mehr zur Messe zu gehen, sondern auf ihrem sonnenbeschienenen Fass die Ankunft des Marktschiffs abzuwarten und direkt zurück nach Höchst zu fahren. Sie ließ die Beine baumeln und versuchte, jeden Gedanken an die vergangenen Stunden zu verdrängen. Vor ihr tanzte das weiße Segel eines Kahns auf dem Main. Die Dächer von Sachsenhausen glänzten im Gegenlicht. Direkt an der Stadtmauer, nur wenige Schritt hinter ihr, briet ein Mann über einem Feuer ein Schaf. Doch trotz des köstlichen Dufts verspürte sie keinerlei Appetit. Sie hatte das Gefühl, nie wieder etwas zu sich nehmen zu können.
» W ie konntest du nur, Friedrich? Erst am helllichten Tag drei Gläser Wein trinken, statt deinen Messepflichten nachzukommen, und dann auch noch irgendwelche Drogen nehmen! Kein Wunder, dass man dann nicht mehr weiß, was man tut.«
Josefines Lachen hatte fast ein wenig überheblich geklungen, ärgerte sich Friederike. Sie hatte sich Trost und Zuspruch von der Freundin erhofft, aber keine Kritik.
»Na ja, vielleicht wäre ich in einer solchen Situation auch auf komische Ideen gekommen«, beeilte sich Josefine, ihren
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