Die Porzellanmalerin
müde«, erklärte er, an die anderen gewandt. »Wenn ich jetzt nicht schlafen gehe, ist der ganze morgige Tag für mich ruiniert.«
Gemeinsam verabschiedeten sie sich von dem Perückenmacherpaar, dem Soldaten und der Seidenfabrikantin, die noch ein wenig beieinandersitzen und ihre Freundschaft begießen wollten. Carl Bogenhausen nahm zu seinem Tornister auch Friederikes Koffer in die Hand. Der Wirt legte seine Schürze ab, kramte in einer Schublade nach den Zimmerschlüsseln und eilte ihnen voraus die Treppe hinauf. Gleich im ersten Stock zeigte er ihnen zwei nebeneinanderliegende Zimmer. Beide waren mit einem Bett, einem Waschstand und einem kleinen Tischchen ausgestattet. Karg, aber sauber und ein unerhörter Luxus verglichen mit den Löchern der letzten Nacht.
»Es ist noch ein bisschen laut, aber keine Sorge, nach Mitternacht wird’s leiser. Die Leute unten reisen gleich ab. Eine gute Nacht wünsche ich Ihnen!«
Beide lauschten sie dem Klappern seiner Absätze erst auf dem Holzboden, dann auf den Treppenstufen, bis sie ganz verklungen waren. Carl Bogenhausen hielt noch immer seinen Tornister und ihren Koffer in den Händen. Ein leises Ploppen ertönte, als er die Gepäckstücke sacht abstellte. Friederike reichte ihm eine der beiden dicken gelben Kerzen, die der Wirt ihnen da gelassen hatte. Schweigend blickten sie einander an.
»Welches Zimmer möchten Sie haben, Fräulein Rütgers?«, fragte er nach einer Ewigkeit. Seine Stimme klang belegt.
»Ich heiße Simons«, räusperte sie sich. »Friederike Simons.«
»Welches Zimmer möchten Sie haben, Mademoiselle Simons?«
Das Licht der Kerze spiegelte sich in seinen Augen, die unruhig über ihr Gesicht flackerten. Obwohl es ihr völlig gleichgültig war, welches der beiden Zimmer sie bekam, zeigte sie auf die linke Tür. Seine seltsame Miene irritierte sie. Was wollte er von ihr?
Entschlossen nahm er ihren Koffer und trat auf die Tür zu. Friederike folgte ihm in das Zimmer und stellte vorsichtig die Kerze auf dem einbeinigen Konsoltischchen ab. Als sie sich umdrehte, stand Carl Bogenhausen noch immer mitten im Raum.
»Na dann: Gute Nacht!«, sagte er, machte aber keinerlei Anstalten zu gehen.
»Gute Nacht«, erwiderte sie langsam.
Sie verstand sein Verhalten nicht. Den ganzen Tag über war er so aufgeräumt gewesen. Und jetzt benahm er sich wieder so rätselhaft, so verstockt, als stimmte etwas nicht mit ihm.
Plötzlich trat Carl Bogenhausen einen Schritt auf sie zu. Langsam beugte er sich zu ihr herab und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
»Das war ich Ihnen noch schuldig«, lächelte er ein wenig unsicher. »Und nun schlafen Sie wohl!«
Als sie am nächsten Morgen reichlich verspätet nach unten in die Gaststube kam, war von ihren Reisegefährten niemand mehr zu sehen. Nur Carl Bogenhausen saß in einer Ecke. Er war aufgesprungen, als sie den Raum betreten hatte, als hätte er voller Ungeduld auf sie gewartet. Die Gaststube war genauso stickig und voll wie am Abend zuvor. Mehrere Kutschen, die auf der
Durchfahrt waren, hatten ihre Passagiere während des Pferdewechsels im »Goldenen Storchen« geparkt. Und auch bei den Bauern und Händlern aus der Umgebung schien die Schenke ein beliebter Treffpunkt zu sein. Die von innen beschlagenen Butzenscheiben verhinderten, dass man das Geschehen im Hof genauer verfolgen konnte.
Als Friederike etwas beklommen gegenüber von Bogenhausen Platz genommen hatte, wurde rasch eine üppige Mahlzeit um sie herum aufgebaut, die aus Schinken, Winzerkäse und ofenwarmem Graubrot bestand. Auf einem Holzbrett servierte man ihr außerdem einen vor sich hin brutzelnden Flammkuchen mit Zwiebeln und Speck.
»Na, gut geschlafen?«, begrüßte Carl Bogenhausen sie munter. Er selbst schien bereits gefrühstückt zu haben.
Wahrheitsgemäß verneinte sie die Frage. Allerdings verschwieg sie ihm den Grund für ihre durchwachte Nacht. Sie konnte ihm ja schlecht erzählen, dass sein verändertes Verhalten vom Vortag und erst recht sein Kuss mehr Verwirrung in ihr gestiftet hatten, als ihr lieb war. Sie hatte noch lange vor sich hingegrübelt und sich jede kleinste Begebenheit in Erinnerung gerufen. Nachdem der Schlaf sie endlich übermannt hatte, war sie immer wieder aufgewacht, weil sie entweder von Giovanni oder ihm, Carl Bogenhausen, geträumt hatte. Lauter wirres Zeug: von langen Kutschfahrten mit dem einen oder dem anderen, von einem Duell zwischen ihnen beiden, dessen Ausgang ungewiss geblieben war, von einem Schatten,
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