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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Hämmern gegen ihre Tür riss sie aus dem Schlaf.
    »In einer Stunde geht’s los!«, rief eine Stimme, die sie nicht zuordnen konnte.
    Wie elektrisiert sprang sie von ihrem Lager auf. Noch halb im Dämmerzustand konnte sie sehen, wie eine fette Wanze über ihren Unterarm krabbelte. Durch die Schießscharte fiel ein schmaler Lichtstreifen, in dem nun sie hektisch ihren Körper nach Bissen und Einstichen absuchte. Zum Glück hatten die Viecher sich nur an ihren Händen zu schaffen gemacht, die mit kleinen roten Pusteln übersät waren. Schnell schlüpfte sie in Rock und Stiefel und trat zu der kleinen Luke.
    Die winzige Fensterscheibe war mit Eisblumen überzogen. Es hatte über Nacht gefroren, die Bäume rings um die Burgruine und die Wiese vor dem Haus waren mit Raureif bedeckt. Alles war weiß, nur das dunkle Grün einer mächtigen Tanne blinkte hier und da unter den funkelnden Kristallen hervor. Amseln und Spatzen suchten zwischen den weißbestäubten Grashalmen nach Körnern. Ein paar Stare ließen sich auf einer Birke nieder, deren Äste durch den Raureif genauso weiß schimmerten wie ihr Stamm. Ohne dass Friederike einen Grund dafür erkennen konnte, flogen die Stare in einer seltsamen Formation wieder davon. Zu den Amseln, die mit ihren orangefarbenen Schnäbeln auf der
gefrorenen Wiese herumhackten und den zeternden grauen Spatzen hatte sich ein Rabe gesellt. Er hielt sich ein Stück von seinen Artgenossen fern und ging majestätisch seiner Nahrungssuche nach. Weit oben am Himmel kreiste ein Raubvogel.
    Mit dem Koffer in der Hand stieg sie vorsichtig die steile Treppe hinunter. Kein Geräusch war aus den übrigen Zimmern zu vernehmen. Ob die anderen schon aufgestanden waren? Die Gaststube war noch immer kalt. Außer Carl Bogenhausen saßen alle wieder auf denselben Plätzen wie am Abend zuvor. Auf dem Tisch standen eine große Schlachtplatte, die schon zur Hälfte leer gegessen war, und ein Korb mit Brot. Sie fragte das Mädchen mit dem Pferdegesicht, das zur Arbeit dicke Wollhandschuhe trug, nach einem Kaffee, und zu ihrer Überraschung sagte diese nur:
    »Kein Problem, kommt sofort.«
    Als das Mädchen sich noch einmal umdrehte, schlossen sich auch das Frankfurter Ehepaar, die Lyoneserin und der Soldat aus Darmstadt an. Und dann hörte Friederike von der Treppe Carl Bogenhausens tiefe Stimme:
    »Und für mich bitte auch, Mademoiselle.«
    Er schien nicht viel besser geschlafen zu haben als sie selbst. Schwarze Ringe umkränzten seine Augen. Aber er lächelte freundlich und grüßte leutselig in die Runde, als er sich zu ihnen an den Tisch gesellte.
    Alle taten so, als wäre seine plötzliche Herzlichkeit völlig selbstverständlich, nur der Soldat raunte Friederike zu: »Was ist denn in den gefahren?«
    Sie zuckte nur mit den Schultern. Der Kaffee war erstaunlich gut, dickflüssig und stark.
    »Wir sind eben fast schon en France . Das schmeckt man einfach, c’est le gout du bien-être «, seufzte die Französin. Sie roch noch stärker nach Amber als am Tag zuvor.
    Sie fuhren mit denselben Pferden los, mit denen sie am Vorabend gekommen waren. Nur sahen die Tiere jetzt wesentlich
frischer aus. Die Frau des Perückenmachers und die Seidenfabrikantin teilten sich schwesterlich die Pelzdecke. Schon wieder blätterten sie das dicke Musterbuch mit den Stoffen durch und sprachen über Seide. Der Soldat hatte sich durch Carl Bogenhausens Geselligkeit ermutigt gefühlt und ihn gebeten, den Platz mit ihm zu tauschen, damit er mit dem ihm gegenübersitzenden Perückenmacher Karten spielen könne.
    Nun saß Friederike neben Bogenhausen. Sie wechselten kein Wort miteinander, aber mehr als einmal meinte sie während der Fahrt bemerkt zu haben, wie er sie verstohlen von der Seite musterte. Einmal war sie bei einem Schlagloch fast auf ihn geworfen worden: Mit einem freundlichen »Hoppla« hatte er sie galant aufgefangen. Bei den Pferdewechseln blieb er jetzt immer bei der Gruppe. Einmal hatte sie den Eindruck gehabt, dass er mit ihr reden wollte. Langsam waren sie hinter ihren Reisegefährten her zum Eingang der Poststation gebummelt, er hatte angesetzt, etwas zu sagen, aber da hatte sich die Seidenhändlerin, die wenige Schritte vor ihnen gelaufen war, auf der Türschwelle umgedreht und gerufen:
    »Nun beeilen Sie sich doch, vite, vite ! Hier drinnen ist es angenehm warm.«
    Einen Moment hatte Friederike die Frau in Gedanken verflucht, weil sie ihr in die Parade gefahren war, doch sie hatte sich schnell wieder beruhigt

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