Die Porzellanmalerin
die andere Tür ins Freie zu gelangen. Draußen sah sie Ernesto, der bäuchlings unter der Kutsche lag und den Schaden zu begutachten schien. Achsenbruch - so viel verstand sogar sie von Technik.
Da erst entdeckte sie Marie, die ein paar Schritte weiter schluchzend im Gras hockte. Ein großer brauner Fleck zierte ihre Stirn, und unter ihrer Haube quoll Blut hervor. Erschrocken eilte Friederike zu ihr. Doch Giovanni kam ihr zuvor. Mit einem Zartgefühl, dessen sie ihn gar nicht fähig gehalten hatte, nahm er der Zofe die Kopfbedeckung ab und untersuchte ihre Wunde.
»Nur eine kleine Schramme.« Er blickte auf. »Sie ist bei dem plötzlichen Halt über die Reling des Kutschbocks geflogen. Zum Glück haben die Hinterbacken von unserem treuen Gaul hier« - er zeigte mit dem Kinn auf den größeren der beiden Kaltblüter - »den Sturz abgefangen. Sonst hätte es böse ausgehen können.«
Er reichte der Zofe den Arm, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein, und führte sie auf die Kutsche zu, die durch die gebrochene Hinterachse in eine groteske Schieflage geraten war.
»Emilia, venga fuori! Adesso basta con queste sciocchezze! La Marie si è fatta male, ha bisogno del Suo aiuto!«
An seinem harschen Tonfall konnte Friederike erkennen, dass er die junge Frau gemaßregelt hatte. Prompt öffnete sich die Wagentür von innen, und heraus kam eine vollständig bekleidete, allerdings sichtlich erzürnte Contessa.
Wütend herrschte sie Bianconi an, dass sie sich eine solche Behandlung nicht länger gefallen lassen wolle, weder von ihm noch von sonst wem. Ein giftiger Seitenblick streifte Friederike. Von echten Männern würde sie mehr erwarten, und zwar in jeder Hinsicht.
»Nicht mal Kutsche fahren könnt Ihr - incapaci come siete! «, brüllte sie. »Den erstbesten Wagen, der vorbeikommt, halte ich an - questo Ve lo garantisco! Wenn Ihr denkt, ich harre hier bei diesem Wrack auch nur eine Sekunde länger aus als unbedingt nötig, dann täuscht Ihr Euch aber gewaltig! E adesso venga, Marie! «
Sie packte die verdutzte Zofe beim Arm und zog sie mit sich die Straße hinunter. Die beiden Frauen waren schon etwa hundert Schritt vorangekommen, als die Contessa sich noch einmal umdrehte und rief:
»Ci vediamo a Köstritz, al ›Kranich‹!«
Und tatsächlich dauerte es keine zwanzig Minuten, bis sich aus der Gegenrichtung eine prächtige Berline mit Vierergespann näherte. Staunend konnten Friederike und die beiden Italiener beobachten, wie Emilia die Karosse anhielt. Nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Kutscher sprang dieser vom Bock und öffnete den Seitenschlag. Eine behandschuhte Hand streckte sich von innen der Contessa entgegen, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Diese machte ihrer Zofe ein Zeichen, auf der Dienstbotenbank hinter dem Wagenkasten Platz zu nehmen, und leichtfüßig und ohne sich noch einmal nach ihren zurückgebliebenen Weggefährten umzudrehen, bestieg sie die fremde Kutsche. Mit einem aufwändigen Manöver wendete die Berline auf der engen Straße, die von zwei tiefen Gräben gesäumt war, und fuhr in Richtung Köstritz davon.
Nachdem die Contessa sie mit der fahruntüchtigen Karosse zurückgelassen hatte, machte sich sowohl bei Bianconi als auch bei Friederike Erleichterung breit. Er sei, erklärte Bianconi, ohne seine kapriziöse Reisebegleitung weitaus handlungsfähiger und könne eher dafür sorgen, dass die gebrochene Achse zügig repariert oder ausgewechselt werden würde.
Friederike hingegen war einfach nur froh, Emilia vorerst nicht mehr unter die Augen treten zu müssen. Wie hatte sie nur so naiv sein können, ein zweites Mal zu ihr in die Kutsche zu steigen! Sie hätte doch wissen müssen, dass die Contessa so schnell nicht
aufgeben und einen zweiten Versuch starten würde, sie zu verführen. Spätestens das Schauspiel mit dem Jüngling in Altenburg hätte ihr bedeuten müssen, dass sie in solchen zwischengeschlechtlichen Dingen kein Halten kannte und einfach nur darauf aus war, ihre Weiblichkeit bestätigt zu wissen und ihre Triebe zu befriedigen. Friederike war zugleich angewidert von dem Verhalten der Venezianerin als auch erschüttert über sich selbst und ihre Unbedarftheit. Ich muss noch viel lernen, dachte sie. Egal, ob ich ein Mann oder eine Frau bin.
Mit Bianconi war sie übereingekommen, dass sie beide auf ihren Pferden nach Köstritz reiten und Hilfe schicken wollten. Ernesto würde bei der Kutsche Wache halten und mit dem reparierten Wagen so schnell wie möglich
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