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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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seinen Vater ein alkoholhaltiges Medikament beim Apotheker abholen soll.
    »Ach, Sie sind das, der neue Chef der Wünzigen.«
    »Der was?«
    »Der Wünzigen. So nennen wir hier die Wützener Zeitung.
    Weil sie doch so klein ist und weil meist so wenig drinsteht.« Die John-Lennon-Brille kicherte. »Aber das kann unter Ihnen ja anders werden. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Ich bin übrigens Irma van Daggelsen.«
    |40| Frau van Daggelsen ging mit mir aus dem Laden heraus, rechts in ein schmales Treppenhaus und dann bis unters Dach.
    »Das ist es. Klein, aber Ihres«, sagte sie. »Und ausgeräuchert habe ich es auch schon.«
    »Sie haben bitte was?«, fragte ich.
    »Ich habe in allen Ecken Räucherstäbchen abgebrannt, um den Raum energetisch zu reinigen. Die ideale Position des Betts habe ich ausgependelt, um den Fernseher liegen spezielle Steine, die die Strahlung abschirmen. Sie werden hier gut schlafen, Herr Dr. Walder.«
    »Nur Walder.«
    »Oh«, sagte Frau van Daggelsen. »Entschuldigung, Ihr Vorgänger hatte, glaube ich, promoviert.«
    Vielen Dank für die Blumen.
    Das Apartment war winzig, auf einen Flur, der im Wesentlichen aus einem braunen Ikea-Schrank bestand, wie auch Marie einen in ihrer alten Wohnung gehabt hatte, folgte ein Raum mit einem Futon, einem hellbraunen Holztisch mit drei verschiedenen Buddhastatuen, zwei Sesseln, die von chinesischen Papierschirmchen beschützt wurden, und einem Fernseher, der aussah, als stehe er auf einer Steinlandschaft. Hinter einem Paravent befand sich die Küchenzeile, von dem vierteiligen Fenster ließen sich nur der schmale rechte Teil und die obere Luke öffnen. Auf der Fensterbank standen vier Bonsaibäume, die nach meiner Selbsteinschätzung in spätestens einer Woche eingegangen sein dürften. Dafür gab es im Badezimmer immerhin eine Badewanne. Es roch nach Lemongras.
    »Das ist ein besonderer Service des Hauses. Jeden Tag ein neuer Duft, Herr Dr., ich meine, Herr Walder. Wenn Sie sonst noch was brauchen: Ich bin morgens ab 10 Uhr im Laden.«
    »Vielen Dank. Ich würde jetzt gern erst mal auspacken.«
    »Natürlich. Ruhen Sie sich aus. Die Fahrt aus München war bestimmt sehr anstrengend. Mir wäre das viel zu weit.« Meine Vermieterin legte den Haustürschlüssel in eine schwarze Schale, |41| auf deren Rand die Hindugöttin Shiva thronte, und streckte mir ihre knochige Hand entgegen: »Auf gute Nachbarschaft dann.«
    »Ja, danke.«
    Als sie die Tür hinter sich zugemacht hatte, ließ ich mich auf das ausgependelte Bett fallen und sah zum ersten Mal, dass auf die Zimmerdecke eine Tempelanlage gemalt war. Vor zwei Pagoden saß ein gigantischer Buddha mit gütigem Lächeln. Er sah gelassen aus, gleichmütig und ruhig. Er war das Gegenteil von mir in diesem Augenblick.
    Ich überlegte, ob ich den Koffer auspacken oder erst den Steine-Fernseher anmachen sollte, als mein Blick auf die dunkelblaue Mappe fiel, die ich auf einen der weißen Sessel gelegt hatte. Die Bewerbung der Praktikantin. Ich hatte sie vor lauter Weihrauch und Lemongras vergessen.
    Natürlich hätte ich die Bewerbung nicht lesen müssen, um zu wissen, dass ich die Praktikantin nehmen würde. Die Erfahrungen des ersten Tages, die Hoffnung auf ein zu schreibendes Zeugnis, auf ein junges Gesicht im trostlosen Redaktionshaus und auf Kollegen, die aus Anstand wenigstens einmal in der Woche das Hemd wechselten, reichte. Trotzdem klappte ich die Mappe auf, vermied bewusst den Blick auf das große Foto und begann, wie ich es mir so lange vorgenommen hatte, unvoreingenommen das Anschreiben zu lesen. »Sehr geehrter Herr Walser«, stand da, ein kleiner Fehler, der angesichts der damit vielleicht gewollten Anspielung auf den berühmten Schriftsteller aber zu verzeihen war, »mein Name ist Elisabeth Renner, ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und würde bei Ihnen gern ein Praktikum machen.«
    An dieser Stelle hielt ich es doch für angemessen, mir einen optischen Eindruck von der Frau zu verschaffen, von der ich nun immerhin das Wichtigste wusste. Das beigeheftete Bild hatte ein Fotograf unter Zuhilfenahme einer Windmaschine gemacht. Frau Renners braune Haare zogen stark nach rechts. Sie trug auf dem Foto ein Polohemd mit hochgestelltem Kragen, |42| zu neunundneunzig Prozent von Ralph Lauren. Die Collegeschuhe konnte man nicht sehen, aber fühlen. Hobbys: Klavier, Reiten, Segeln. Eine Arzttochter, was sonst.
    »Ursprünglich hatte ich geplant zu promovieren, doch nach ersten praktischen Erfahrungen bei

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