Die Praktikantin
abschließen!«) vom Hof her in den zweiten Stock gekommen.
»Entschuldigung«, sagte sie und drehte sich zu mir um. »Ich suche Herrn Walder.«
Ich sah auf einen stilisierten Polospieler und auf Collegeschuhe. Meine Praktikantin war da.
»Sie müssen Frau Renner sein. Ich bin Johann Walder.«
»Angenehm«, sagte sie.
Das war wohl der gesprochene Bruder von »mit vorzüglicher Hochachtung«. Ich erklärte ihr, dass mein Büro gerade renoviert werde (was sollte sie denken, wenn sie erfuhr, dass ich keines hatte?), und bat sie stattdessen in den Konferenzraum, der sich ganz am Ende des Großraums befand. Die Kollegen hätten komisch geguckt, wenn sie nicht alle längst in der Mittagspause gewesen wären. In den vergangenen Jahrzehnten hatte sicherlich kein menschliches Wesen unter dreißig diesen Bereich betreten. Eine Frau schon gar nicht.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte ich.
»Nein, vielen Dank.«
Ein Glück, denn der Kühlschrank im Flur war abgeschlossen. Einen Schlüssel hatte nur Frau Schmidt, und die war noch Prosecco süffeln.
»Stört es Sie, wenn ich das Sakko ausziehe?«
Im Konferenzraum war es viel zu warm, weil sich die Heizungen seit vier Tagen nicht mehr herunterregeln ließen. Herr |48| Schmidt hatte versprochen, etwas dagegen zu tun, wenn wir seine letzten drei Rechnungen bezahlen würden.
»Aber nein, natürlich nicht«, sagte Elisabeth Renner.
Ich wartete, bis sie sich gesetzt hatte, weil mir Marie einmal gesagt hatte, das gehöre zu den Essentials einer guten Erziehung, nahm dann schräg gegenüber Platz und konnte gerade noch den Reflex unterdrücken, meine ungeputzten, braunen Schuhe auf den Tisch zu knallen. Eine Haltung, die ich bei meinen Chefredakteuren immer so bewundert hatte.
Wie selbstverständlich hatte ich mich auf den großen Ledersessel an der Spitze des langen, weißen Konferenztisches gesetzt. Elisabeth Renner hatte vorsichtig einen der alten Holzstühle hervorgezogen und ihre braune Tasche über die Lehne gehängt. Ich sagte so etwas wie: »Schön, Sie kennenzulernen« und: »Prima, dass Sie es so schnell einrichten konnten« und bemerkte dabei, dass ich seit mehr als einem Monat mit keiner jungen Frau mehr allein in einem Raum gesessen hatte. Die letzte war Marie gewesen, bevor sie mich und die gemeinsame Wohnung verlassen hatte. Danach hatte ich meine Zeit erst größtenteils allein und dann mit dem Buddha an der Zimmerdecke verbracht. Einmal war Frau van Daggelsen mit einem Stück selbst gebackenem Karotten-Ingwer-Kuchen zu mir unters Dach gekommen. Doch Elisabeth Renner war die erste echte Frau, die ich seit dem Ende des Marie-Zeitalters traf.
Sie hatte die braunen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, trug zur hellblauen Jeans ein orangefarbenes Polohemd, eben Ralph Lauren. Sie hatte ein ziemlich braunes Gesicht mit charakteristischen Leberflecken im rechten Ohrläppchen, an der Nase und kurz unterhalb des Kehlkopfes. Vielleicht sollte ich mal etwas sagen.
»Sie wollen also Journalistin werden?«
»Das weiß ich noch nicht«, sagte Frau Renner. »Ich habe nur in Polen ein Praktikum bei einer deutschen Zeitung gemacht und dabei festgestellt, dass Schreiben mir großen Spaß bereitet.«
|49| Mir nicht, aber das musste sie nicht wissen. Schreiben ist eine unendliche Qual, gerade für eine Tageszeitung, gerade in Wützen.
»Ich hatte kurz davor mein Studium beendet, Geschichte und englische Literatur, aber das haben Sie ja aus meiner Bewerbung erfahren. Mein Prof. hat mir angeboten, das …«
An diesem Punkt verlor ich den Anschluss. Ich blickte auf Elisabeth Renners Lippen, ich wusste, dass sie etwas sagte, aber es kam nicht in dem dafür zuständigen Teil meines Gehirns an. Sie sah fast genauso aus wie auf dem Foto. Das ist nicht selbstverständlich bei Praktikantinnen. Oft waren zwischen Bild und Wirklichkeit so große Unterschiede, dass die Chefs in meinen früheren Redaktionen sich arglistig getäuscht fühlten. Einer hatte zu einer vielleicht gerade zwanzigjährigen Praktikantin zur Begrüßung pikiert gesagt: »Auf dem Foto in der Bewerbung sahen Sie aber ganz anders aus.« »Wie meinen Sie das?«, hatte die junge Dame gefragt. »Anders halt«, hatte mein Chef gesagt, und es hörte sich genau an wie besser. Zwei Tage später musste sie gehen, weil angeblich kein Arbeitsplatz für sie frei war.
»… und dann bin ich also für drei Monate nach Polen.«
»Wieso gerade nach Polen?« Ich war wieder im Gespräch.
»Mein Freund arbeitet dort.«
Gut.
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