Die Praktikantin
darüber informieren«, sagte Rita Bolzen, »dass ich in meiner Funktion als Betriebsratsvorsitzende in der kommenden Woche eine Fortbildung zum Thema ›Frauen im Spannungsfeld zwischen Führung und Verführung‹ besuchen werde.«
|45| »Aber …«
»Kein aber, Herr Walder. Laut Betriebsverfassungsgesetz haben Sie mindestens eine Fortbildung pro Jahr zu akzeptieren und die Kosten dafür zu tragen. In diesem Fall sind es 1440 Euro. Außerdem beantrage ich in meiner Funktion als Fotografin eine neue digitale Ausrüstung, für die ich bereits ein äußerst günstiges Angebot eingeholt habe.«
Das Angebot stammte von ihrem Bruder, der den kleinen Laden »Foto-Bolzen« in der Wützener Innenstadt betrieb, und belief sich auf die stolze Summe von 8800 Euro. Bei Media-Markt gab es das gleiche Equipment für weniger als die Hälfte. Aber nicht einmal das Geld hatten wir.
Am Dienstag hatte ich zum ersten Mal den vorläufigen Abschluss für das vergangene Geschäftsjahr gesehen. Die Auflage war um fünf Prozent auf nur noch dreizehntausenddreihundertfünfundvierzig Exemplare pro Tag gesunken, der Umsatz um 200 000 auf knapp 3 Millionen Euro. Die
Wützener Zeitung
machte seit Jahren hohe Verluste. Volkerts hatte mir die genaue Aufstellung als Anhang einer Mail geschickt: »Professor Michelsen sagt, dass Sie daraus möglichst schnell eine schwarze Null machen sollten. Brauchen Sie denn da draußen überhaupt so viele Redakteure? Ein paar mehr freie Mitarbeiter tun’s doch auch. Beste Grüße.« Vielleicht hätte ich die E-Mail einfach aus Versehen an die Bolzen weiterleiten sollen, von wegen »Frauen zwischen Führung und Verführung« und »gestiegene Arbeitsverdichtung«.
»War es das?«
»Ja, das war es«, sagte Rita Bolzen, und als ich aufsprang: »Moment, Herr Walder, ich würde Sie gern noch in einer anderen Sache unter vier Augen sprechen.« Frau Schmidt guckte, als würde die Bolzen mir gleich einen Heiratsantrag machen. Natürlich wäre sie am liebsten hier geblieben, jetzt, wo es hinter dem Stenoblock endlich spannend zu werden versprach. Doch statt zu protestieren, sagte sie nur: »Ich muss sowieso |46| wieder an die Arbeit.« Tatsächlich musste sie ins
Bistro Bianco
, wo sie jeden Tag so gegen halb eins ein Gläschen Prosecco mit Lenz trank. Oder gleich die ganze Flasche.
»Was gibt es noch, Frau Bolzen?«
»Herr Walder, ich habe einen furchtbaren Verdacht.«
Auf einmal klang ihre Stimme anders. Nicht so schneidig, nicht so dunkel. Sie beugte sich leicht zu mir herüber, so dass ich ihren wieder aufsässig gewordenen rechten BH-Träger sehen konnte. Mehr zum Glück nicht.
»Bitte?«
»Ich glaube, einer der Kollegen manipuliert meine Kamera.«
Ich verstand nichts mehr.
»Vielleicht ist Ihnen ja aufgefallen, dass in den vergangenen Tagen ein paar meiner Bilder leicht unscharf waren.«
Ja, das war mir aufgefallen. Es war ungefähr die Hälfte.
»Ich habe nun heute festgestellt, dass eine Grundeinstellung an meiner Kamera verändert worden ist. Das sind ungeheure Anschuldigungen, ich weiß, aber ich werde nicht eher ruhen, bis der Täter gefunden ist.«
»Frau Bolzen …«
»Lassen Sie mich nur machen, Herr Walder. Ich weiß, wo meine Feinde sind. Es gibt viele, die finden, der Betriebsrat habe nicht stark genug dagegen gekämpft, dass uns einfach einer wie Sie vor die Nase gesetzt wurde. Ich weiß auch, die Herren würden mich lieber heute als morgen von hier weghaben, damit sie endlich in Ruhe ihre frauenfeindlichen Zoten reißen können. Aber diese menschenverachtende Form der Rache lasse ich mir nicht gefallen.« Bolzens Gesicht glühte, als sie zischte: »Und noch was: Ich fordere ab sofort ein absolutes Rauchverbot in allen Redaktionsräumen.«
Das ging gegen Batz, Lenz und Peperdieck, von denen einer immer rauchte. Sollten sie an Bolzens Kamera geschraubt haben?
»Ich kümmere mich darum«, sagte ich und flüchtete, bevor sie mich auffordern konnte, die
Wützener Zeitung
in
WützenerInnen
|47|
Zeitung
umzubenennen. Selbstverständlich war Rita Bolzen auch Gleichstellungsbeauftragte in der Redaktion, wenn auch selbst ernannt.
Ich hätte die Tür des Besprechungszimmers am liebsten zugeknallt, wenn das Risiko nicht so groß gewesen wäre, dass sie sofort auseinanderfiel und vom Handwerksbetrieb Schmidt, der dem Mann von Frau Schmidt gehörte, für horrende Stundensätze repariert werden musste.
Auf dem Gang stand eine Unbekannte. Anscheinend war sie über die Hintertür (»Bitte immer
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