Die Praktikantin
langsam müde?«
»Sie wollen ja nur auflegen. Wir sehen uns morgen?«
»Bis morgen. Kommen Sie wieder etwas später …?«
Und so weiter. Eine Endlosschleife in Sie-Dur.
»Herr Walder?«
Sie musste gemerkt haben, dass ich nicht bei der Sache gewesen war. So was merkte sie immer.
»Woran denken Sie gerade?«
|96| »Ich habe gerade daran gedacht, wie wichtig es ist, dass wir in Kontakt bleiben. Ich kann Ihnen sicher für ihre weitere journalistische Karriere ein paar Tipps geben.«
O nein, der billigste aller billigen Tricks eines Vorgesetzten. Das plumpe »Ich bring dich ganz groß raus«. Mutierte ich zum Dieter Bohlen des Zeitungswesens? Einer meiner früheren Ressortleiter hatte einmal im vertrauten Kreis (zu dem ich nicht gehörte, dessen Gespräche mir aber durch einen guten Bekannten zugänglich wurden) von einer Affäre mit einer Volontärin erzählt. Er hatte sie während einer Weihnachtsfeier im Konferenzraum von hinten genommen und dabei höhnisch gehechelt: »Du kannst wirklich … eine ganz Große … werden … in dir steckt … eine Führungskraft.« Die Kollegen, offensichtlich sämtlich selbst betroffen, hatten minutenlang gelacht.
»Meinen Sie wirklich, dass dieser Beruf etwas für mich ist?«
»Natürlich, Elisabeth. Sie haben in den vergangenen Wochen bewiesen, dass Sie alles haben, was eine gute Reporterin braucht, und ich bin gern bereit, Ihnen bei den nächsten Schritten zu helfen. Schließlich haben Sie ja auch der Zeitung geholfen.« Und mir zu vergessen, dass ich eigentlich inzwischen verheiratet und Chefredakteur der
Metro-News
sein sollte.
»Das wäre sehr nett von Ihnen«, sagte Elisabeth. »Aber ich bin sowieso davon ausgegangen, dass wir in Kontakt bleiben. Ohne unsere nächtlichen Telefonate würde mir was fehlen.«
Mir auch. Das war ja das Schlimme. Ob ihr Freund wohl davon wusste? Lieber nicht fragen.
»Weiß Ihr Freund eigentlich davon?«
»Wovon?«
»Dass wir manchmal nachts kurz telefonieren?«
Genau: kurz.
»Selbstverständlich. Aber das stört ihn nicht. Schließlich sind Sie ja mein Chef.«
Wunderbar. Das war genau das, was ich zum Abschied hatte hören wollen. Wir waren auch jetzt schon viel zu lange im Konferenzraum |97| für ein Gespräch zwischen Chef und Praktikantin. Ich musste zurück in die Wirklichkeit, zurück in eine Redaktion, in der es kein Lächeln und keine Pheromone mehr geben würde.
»Gut, Elisabeth, dann melden Sie sich bald mal wieder. Meine Nummer haben Sie ja.«
Wir standen beide auf. Ich überlegte, ob ich sie wenigstens jetzt in den Arm nehmen sollte, da hatte sie meine Hand schon wieder gepackt. »Vielen Dank für alles, Herr Walder. Wir hören.«
[ Menü ]
|98| FÜNFZEHN
Mama stand schon mit ihrem silbernen BMW vor der Redaktion.
»Na, hast du dich nicht losreißen können von deinem Chef?«, sagte sie, als ich die Beifahrertür aufzog und mich auf den Sitz fallen ließ.
»Sehr witzig, Mama.«
»Wir wollten vor zehn Minuten losfahren. Was gab es denn noch so Wichtiges zu besprechen, dass du mich so lange hast warten lassen? Jetzt können wir froh sein, wenn wir es rechtzeitig zum Flughafen schaffen. Der Walder wollte dich wohl nicht gehen lassen, was?«
»Fahr lieber!«
Meine Mutter hatte in den vergangenen Wochen kaum ein Telefongespräch zwischen uns ausgelassen. Während sich Oma vor allem für meine Artikel interessierte, konzentrierte sie sich einzig und allein auf das vermeintliche Interesse meines Chefs an mir.
»Mausi«, hatte sie nach unserem vierten, etwa zwei Stunden langen Gespräch gesagt, »du merkst aber schon, dass der was von dir will?«
»Wie kommst du darauf?«, hatte ich ziemlich genervt zurückgefragt. Wahrscheinlich, weil ich darauf gewartet hatte, dass meine Mutter irgendetwas in dieser Richtung sagen würde. Nur weil sie, die Medizinisch-Technische Assistentin, einen Chefarzt, meinen Vater, geheiratet hatte, konnte es trotzdem rein berufliche Beziehungen zwischen einem Vorgesetzten und einer Untergebenen geben.
»Das ist doch nicht normal, dass der jeden Abend hier anruft und mit dir eine Stunde und länger über Dinge spricht, die man |99| auch bequem in fünf Minuten nachmittags oder per E-Mail abhandeln könnte. Der ruft nicht wegen dieses Schulprojekts an, Mausi, sondern nur deinetwegen.«
»Quatsch. Wir verstehen uns halt ganz gut, mehr nicht, und haben dieselbe Wellenlänge, wenn es um Journalismus geht.«
Das klang, als würde ich schon zwanzig Jahre als Reporterin arbeiten.
»Du bist auch
Weitere Kostenlose Bücher