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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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aber bei ihm ging nur die Mailbox an. Ich schrieb ihm eine SMS: »Haste vorhin versucht anzurufen? Habe mit meinem Chef telefoniert, hat ein super Projekt für mich. Melde mich morgen, 1000 Küssis.«

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    |91| VIERZEHN
    Die Idee war genial. Immer wieder hatte es in den vergangenen Monaten Schlagzeilen über aggressive, ständig SMS schreibende Hauptschüler gegeben, die ihre Sido-Kappen nicht mal bei den Bundesjugendspielen im Geräteturnen abnahmen. Jetzt würden wir den großen Report in Wützen machen. Titel: »Setzen, sechs. Zurück in die Schule.« Unterzeile: »Reporterin Elisabeth Renner (26) kehrt zurück auf die Schulbank. In die 9. Klasse einer Hauptschule – sieben Jahre nach ihrem Abitur. Was ist anders als auf dem Gymnasium, wie schlimm sind die Zustände wirklich?«
    Meine Praktikantin war begeistert von der Idee. Ich war begeistert von der Möglichkeit, unser Telefonat zu verlängern. Erst kurz vor halb elf hatten wir das Wichtigste besprochen. Ich wollte trotzdem weitertelefonieren, hatte keine Lust, allein mit dem Deckenbuddha und einem Roman von Agatha Christie zu sein, den ich mir vor zwei Tagen im Wützener
Lektüre-Lädchen
gekauft und in dem Meisterdetektiv Hercule Poirot wie immer eine verwirrende Auswahl an potentiellen Mördern hatte. Aber bei Elisabeth hatte schon drei Mal jemand angeklopft. Wahrscheinlich ihr Freund.
    »Sollen wir nicht lieber auflegen? Da versucht offensichtlich noch ein anderer, Sie zu erreichen, Elisabeth. Vielleicht ist es wichtig.«
    »Glaube ich nicht.«
    »Außerdem haben Sie um 9 Uhr einen Termin. Unser Projekt steht, oder?«
    »Ich kümmere mich gleich morgen darum, Herr Walder. Vielen Dank.«
    Sie hatte schon zwölf Stunden später alles mit dem Direktor der Ronald-Bayer-Hauptschule abgesprochen, saß am Tag darauf |92| in der Klasse 9b, zweite Reihe. Es wunderte sich niemand der vierundzwanzig Jungen und Mädchen über die neue, wesentlich ältere Mitschülerin mit ihrem Montblanc-Meisterstück. Unter den Mädchen sei sie die Einzige gewesen, bei der man nicht entweder Ansätze der Brust oder ein Piercing oder den hochgezogenen String gesehen habe, erzählte Elisabeth. Aber sonst sei alles bestens und sehr spannend.
    »Das wird eine gute Geschichte, Herr Walder.« Sie rief mich auf dem Handy an. Wann hatte ich ihr eigentlich die Nummer gegeben?
    »Wunderbar, Elisabeth. Sprechen Ihre Mitschüler denn ganz offen mit Ihnen?«
    »Viel offener geht es nicht. Ein Mädchen hat mich gleich vor einem Jungen gewarnt, der zwei Mal sitzengeblieben ist und angeblich fast jede aus der Klasse schon im Bett gehabt hat.«
    »Bitte? Na, da werden Sie ja noch viel Spaß haben.«
    Mir war der vergangen. Schließlich würde ich meine Praktikantin eine Woche lang nicht mehr sehen. Null. Nur wieder Grainer, Batz, Lenz, Peperdieck. Und Rita Bolzen. Kein Lachen mehr, kein »es macht so viel Spaß, bei Ihnen zu arbeiten, Herr Walder«. Kein »wollen Sie nicht zum Interview mitkommen?« von mir. Stattdessen: fünf Tage ohne Elisabeth. Und weitere fünf Tage, an denen sie das Erlebte aufschreiben würde. Bevor sie wieder verschwand. Zur nächsten Zeitung, zum nächsten Chef.
    Ich hatte einen Fehler gemacht und große Lust, irgendjemanden rauszuschmeißen. Oder mit Lenz mal so richtig um die Häuser zu ziehen. Er hatte sich vor zwei Tagen derart besoffen, dass Frau Schmidt ihn vom
Bistro Bianco
abholen und nach Hause bringen musste. In ihrem Opel Corsa hatte Lenz dann eingepinkelt.
    Die Zeit ohne Elisabeth wurde zum Glück doch nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Erstens brannte fast jeden Tag irgendwo in der Stadt ein Haus, und wir erzielten mit der verzweifelten Suche der Polizei nach dem »Feuerbären« (so wurde |93| er genannt, weil man in der Nähe jedes Tatortes einen Teddybären fand) ungeahnte Auflagenerfolge. Als wir am Dienstag das erste Mal an allen Tankstellen und Kiosken ausverkauft waren, ließen wir für Mittwoch zweihundert Exemplare extra drucken. Am Donnerstag waren es dann dreihundert. Das war sogar Volkerts aufgefallen. Donnerstagnacht, Hercule Poirot hatte sich gerade zum Nachdenken in seinen Lehnstuhl zurückgezogen, bekam ich eine E-Mail von ihm: »Lieber Herr Walder, ich hoffe, Sie zünden die Häuser nicht selber an. So schlimm war die Auflagenentwicklung nun auch nicht. Beste Grüße, Ihr Volkerts.« Tatsächlich hatte ich in der Woche zuvor etwas außerhalb der Stadt in Supermärkten und Bäckereien heimlich bis zu fünfzig Zeitungen pro Tag

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