Die Praktikantin
mit Herrn Walder bringen könnten. Ich war seine Praktikantin und genau das meine große Chance in Zeiten von tausend Bewerbern auf fünf Volontariatsplätze.
»Wie meinst du das, warmhalten?«, fragte meine Mutter, während wir mit fast 180 km/h über die Autobahn rasten. Der Flug nach Stuttgart ging in weniger als fünfundvierzig Minuten. Bei der Buchung hatte ich das erste Mal von dem Kontakt mit Walder profitiert. Er hatte mir einen Presseausweis besorgt, mit dem ich bei Air Berlin fünfzig Prozent Journalistenrabatt bekam.
»Warmhalten heißt, er kann mir in Zukunft vielleicht noch den einen oder anderen Praktikumsplatz besorgen. Oder sogar mehr. Der hat ein gutes journalistisches Netzwerk.«
»Und deswegen bist du nett zu ihm? Das passt gar nicht zu dir, Mausi.«
Passte es auch nicht. Eigentlich war ich nett zu ihm, weil er nett zu mir war und weil ich normalerweise immer nett bin. Aber Sätze wie »Mir würde etwas fehlen, wenn wir nicht regelmäßig telefonieren« hatte ich auch gesagt, um ihm als potentiellem Jobvermittler |102| zu schmeicheln. Sonst darf man so was ja auch gar nicht sagen, wenn man einen Freund hat.
»Nein, er ist ja auch nett. Aber ich glaube nicht, dass ich immer so lange mit ihm nachts telefoniert hätte, wenn er nicht mein Chef wäre.«
»Und du bist nicht doch ein kleines bisschen in ihn verliebt? Vielleicht unterbewusst …«
Meine Mutter konnte es nicht lassen. Fast hätte sie die Abfahrt zum Flughafen verpasst.
»Nein, Mama, ich bin nicht in ihn verliebt, auch kein kleines bisschen und auch nicht unterbewusst. Wie du vielleicht weißt, habe ich einen Freund.«
»Der zwei Monate jünger ist als du«, sagte meine Mutter. »Der Walder, das ist ein anderes Kaliber, Mausi, das ist ein echter Mann.«
Wir waren vor dem Terminal eins angekommen, sie parkte den Wagen in zweiter Reihe, sprang heraus und zog gemeinsam mit mir Omas alten Ledersack aus dem Kofferraum.
»Lass dir eins von deiner Mutter sagen.«
Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Bitte.«
»Der Herr Walder, der hat einen langen Atem. Der wartet ab, bis eine passende Gelegenheit kommt. Ich sag es dir.«
»Ich sag dir auch etwas, Mama: Diese Gelegenheit wird es nie geben.«
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|103| SECHZEHN
Wir bekamen neue Praktikanten, zwei Schülerinnen, vierzehn und fünfzehn Jahre alt, und einen jungen Mann, der sich Meik T. C. Behl nannte, wobei das T. C. offensichtlich nicht zu seinem Namen gehörte, sondern nur eine seltsame Verbundenheit mit Tom Cruise ausdrücken sollte (hoffentlich hatte ich mir in meinem unstillbaren Drang, Honorare zu sparen, nicht einen echten Scientologen in die Redaktion geholt …). Nett waren sie alle drei und auch gar nicht schlecht, für die Stimmung im Altherrenklub sowieso nicht. Aber Elisabeth fehlte. Drei Mal hatten wir seit ihrem Abschied telefoniert, einmal hatte ich ein Foto von ihr im
Badischen Kurier
gesehen. Sie posierte im Bademantel für einen Artikel über Wellness-Clubs. Man konnte ihre Beine sehen. Sehr schöne, lange, braune Beine.
Nachdem sie mir eine E-Mail geschickt hatte, dass sie quasi gezwungen worden sei, sich so für die Geschichte fotografieren zu lassen (»Das ist doch völlig unjournalistisch, oder, Herr Walder?«), war ich zum Bahnhof gefahren, um mir die Zeitung zu kaufen. Ich bekam das letzte Exemplar aus dem bereits zum Abtransport zusammengeschnürten Remissionspaket. Zahlen musste ich den vollen Preis.
Ich schnitt den Text und das Foto aus, kam mir dabei irgendwie pervers vor und legte beides in Elisabeths Bewerbungsmappe. Sie hatte mir erzählt, dass der Textchef des
Badischen Kuriers
sie schon nach vier Tagen in sein Büro gebeten und für einen ihrer Artikel gelobt hatte.
»Wissen Sie, was der gesagt hat, Herr Walder?«
»Na, da bin ich aber gespannt.«
»Dass ich großes journalistisches Talent habe und dass ihm das gleich aufgefallen sei.«
|104| Genau. Ich konnte mir vorstellen, wie sie ihm aufgefallen war. Wahrscheinlich hatte der Textchef selbst den Auftrag gegeben, die »neue Praktikantin mit den langen Beinen« mal halb bekleidet für ein Foto posieren zu lassen. Was bildete der sich ein?
Elisabeth gehörte hierher, am besten an den Schreibtisch neben mir, an den sie sich immer gesetzt hatte, wenn Grainer Feierabend gemacht hatte. Mein Stellvertreter hatte vor einer Woche endlich seine große Reportage »Ein Tag im Leben des Bürgermeisters« fertigbekommen. Der Text war so langweilig und unkritisch wie alles, was er über den
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