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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Rathauschef verfasste. Normalerweise hätte ich ihn komplett umschreiben müssen. Aber das wollte ich ihm nicht antun, nachdem er sich strahlend vor meinen Tisch gestellt, mir sieben A4-Seiten hingelegt und dann laut gesagt hatte: »Ich muss mir wirklich überlegen, ob ich das Stück nicht für einen der großen Journalistenpreise einreiche.«
    Die Geschichte fing so an: »Morgens um 7 Uhr klingelt der Wecker. Bernhard Bluhm dreht sich noch einmal genüsslich in seinem Bett herum. Nebelschwaden wabern durch seinen Garten. Durch das dunstige Licht des anbrechenden Morgens kann er von seinem Schlafzimmerfenster nur die Umrisse Wützens erkennen. Der Stadt, die er seit fast sechs Jahren souverän regiert. In der er aufgeräumt und mit eisernem Besen gekehrt und seine Gegner in die Wüste geschickt hat.« Vielleicht hätte Grainer damit den Preis für die meisten aufeinanderfolgenden Plattitüden in einem deutschsprachigen Text gewinnen können. Beim Egon-Erwin-Kisch-Preis reichte es nicht mal für eine Bewerbung.
    Aber das störte ihn nicht. Der Muhammad Ali unter den Lokaljournalisten – womit ich sein nicht mehr zu steigerndes Selbstbewusstsein, nicht seine publizistische Durchschlagskraft meine – drückte die Reportage auf einer Doppelseite ins Blatt. Überschrift: »Keiner arbeitet so hart wie er – der lange Tag des Bürgermeisters« (er endete um 18 Uhr 30, wahrscheinlich war das für Grainer schon fortgeschrittener Workaholismus). Danach |105| nahm sich mein Vize drei Tage frei, »weil durch die umfangreichen Recherchen natürlich jede Menge Überstunden entstanden sind, Johann. Aber das verstehst du sicher.« Ich verstand gar nichts mehr.
    Vor allem nicht, wo Rita Bolzen war. Erst nach mehrfacher Nachfrage verriet mir Frau Schmidt, dass die Betriebsratsvorsitzende einfach ihren Urlaub an das neue Fortbildungsseminar »Frauen in einer männerbestimmten Arbeitswelt – Durchsetzungsstrategien und Abwehrmaßnahmen« gehängt hatte. Dass zwischen Tagungsort und Ferienziel nur fünfzehn Kilometer lagen, muss ein glücklicher Zufall gewesen sein. Wenigstens hatte sich damit das Problem der unscharfen Fotos gelöst. Die Vertretung, ein wortkarger, spindeldürrer Fotograf mit Pferdeschwanz, machte mit Rita Bolzens Kamera nahezu brillante Fotos. Noch so ein Zufall.
    Zwischendurch hatte ich den die Bolzen (»wenn ich überlege, dass die für diese Fotos auch noch Geld bekommt«) genauso wie Grainer hassenden Batz in Verdacht, die Kamera manipuliert zu haben. Vielleicht in Tateinheit mit Peperdieck, der zumindest das nötige technische Grundwissen für so ein Verbrechen mitgebracht hätte.
    Aber dann hatte sich der Sportchef komplett der »Jahrhun dertstatistik des Wützener Sports« zugewandt und sogar ein paar (natürlich abzubummelnde) Überstunden gemacht, um im Stadtarchiv Zahlen zu sammeln. (Wobei das Archiv in einem Nebenraum der »Pinte« untergebracht war, einer der vier Kneipen, in denen die Herren Redakteure unbegrenzt anschreiben lassen konnten. Früher hatte der Wirt Woche für Woche seinen selbstgebrannten Klaren, genauer: sechs Flaschen davon, in die Redaktion geliefert. Das war vorbei. Jetzt brachte der Biomarkt
Löffelstein
zweimal die Woche eine Sechsliterflasche mit stillem Wasser. Auch dafür hassten sie mich.)
    Und Batz? Batz war nach unserem Gespräch über Grainer erstaunlich ruhig geworden. Natürlich verdrehte er bei jedem |106| Themenvorschlag, den mein Stellvertreter in der Konferenz machte, nach wie vor die Augen, und seinen Bildschirmschoner hatte er nur insofern geändert, als das Pferd mit dem Gesicht Grainers jetzt alle zwei Minuten ein paar Äpfel schiss, wie immer das auch technisch ging. Aber sonst schien er sich wieder um seine eigenen Sachen zu kümmern. Und das waren Geschichten über die CDU. Oder aus der CDU. Oder gegen die SPD und die Grünen. »Wir sind jahrzehntelang ein linkes Kampfblatt gewesen, eine DKP-Postille«, hatte er zu mir gesagt. »Wenigstens das hat unter Ihnen ein Ende genommen.«
    Vor allem kümmerte sich der konservativste Weiße-Socken-Träger der Republik aber um das »offene Interview«, unser neues Projekt. Ich hatte die Idee gehabt, in loser Folge Spitzenpolitiker in die Stadt zu holen und in intimer Runde mit wichtigen Wützenern zusammenzubringen. Baron von Alsleben stellte uns dafür den gläsernen Konferenzraum auf dem Dach seiner Wurstfabrik zur Verfügung, nur die Getränke mussten wir bezahlen. Was Volkerts erst nach drei E-Mails und Rücksprache

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