Die Praktikantin
mit Professor Michelsen genehmigte.
Die Suche nach dem ersten Gast hatte zwischen Grainer und Batz zu einem bizarren Duell geführt. Denn während mein Stellvertreter unbedingt einen hochrangigen Grünen oder zumindest einen Sozi nach Wützen locken wollte, tat Batz alles, um genau das zu verhindern. Zum ersten Mal blieben beide bis tief in die Nacht (also bis fast 19 Uhr 30) in der Redaktion, um über unterschiedliche Kanäle einen Topmann ihres politischen Lagers zu verpflichten. Es schien keinem zu gelingen. Bei Grainer stellte sich schnell heraus, dass seine Kontakte nur wenig über die kommunale Ebene hinausreichten. Den prominentesten Politiker, den er nach vier Wochen für ihn harter Recherche bieten konnte, war der Bürgermeister. Aber den konnten die Honoratioren der Stadt nahezu jeden Tag in der Dönerbude neben dem Rathaus sehen, wo er meist den Mittagstisch für 4,95 Euro und einen Becher (Gläser gab es nicht) Ayran bestellte. Batz telefonierte sich |107| zwar bis ins Vorzimmer des Verteidigungsministers, doch dessen Büroleiter hatte keinen passenden Termin frei.
»Soll ich mal versuchen, den SPD-Vorsitzenden einzuladen?«, fragte ich meine beiden Politexperten nach zwei Wochen erfolgloser Suche. Ich konnte mir vorstellen, dass der in seiner jetzigen Lage für jeden Auftritt dankbar war.
»Auf keinen Fall. Wer will denn so einem abgehalfterten Sozitrottel länger als fünf Minuten zuhören?«, protestierte Batz.
»Ich kriege wahrscheinlich vom Schatzmeister des Grünen-Landesverbandes, mit dessen Frau meine Frau früher zur Schule gegangen ist, die Handy-Nummer von Joschka Fischer. Unter diesem Kaliber sollten wir mit dem offenen Interview gar nicht erst anfangen«, sagte Grainer.
Ich gab den beiden noch eine Woche Zeit.
Es müssen furchtbare Tage für sie gewesen sein. Vor allem für Grainer. Denn nach etwa der Hälfte verschwanden aus Batz’ Gesicht die hektischen roten Flecken. Statt ständig am Telefon zu sitzen, ging er wieder jede Stunde für fünfzehn Minuten mit Peperdieck zum Rauchen auf den Balkon. Als er am Freitagmorgen, dem letzten Tag der Frist, als Erster im Konferenzraum saß, wusste ich, dass er es geschafft hatte. Er hatte jemanden gefunden.
Und er konnte es nicht lange für sich behalten. Ich hatte kaum »guten Morgen« gesagt, da räusperte er sich so laut, dass der neben ihm sitzende Peperdieck in für seine Art atemberaubender Geschwindigkeit hochschreckte.
»Ähm …«
»Ja, Herr Batz?«
»Da es dem Kollegen Grainer ja nicht gelungen zu sein scheint, einen Spitzenpolitiker der Grünen oder der SPD für unsere neue Gesprächsrunde zu verpflichten, ähm, wobei sich Spitzenpolitiker und SPD/Grüne ja sowieso ausschließen«, er lachte höhnisch, »wollte ich nur kurz mitteilen, dass ich über meine zahlreichen Kontakte einen Mann für uns gewinnen konnte, der wirklich |108| etwas zu sagen hat.« Er zog die rechte Tennissocke hoch. »Um den mir immer wieder unberechtigterweise entgegengebrachten Vorwurf zu entkräften, ich würde mich zu stark auf die CDU konzentrieren …«
»Was ja auch stimmt«, sagte Grainer wütend, aber sichtlich besiegt.
»Also, damit auch wirklich der Letzte, der sich hier Journalist nennt, begreift, dass an diesem Vorurteil nichts dran ist, habe ich …«
Er wollte Grainer so lange wie möglich quälen.
»… habe ich den Spitzenkandidaten der FDP für die kommende Bundestagswahl überzeugen können, als Gastredner zu unserem ersten offenen Interview zu kommen.«
Heinrich Ostwasser hatte zugesagt. Touché.
Drei Tage nachdem wir die Einladungen verschickt hatten, hatten wir schon fünfzig Anmeldungen. Das Bundeskriminalamt schickte einen Mitarbeiter, der sich von Alslebens Wurstfabrik bis in die letzte Ecke ansah. Unter fachkundiger Führung von dessen Fahrer, den der Baron schnell mit einem Knopf im Ohr ausgestattet und zu seinem persönlichen Leibwächter ernannt hatte. Nicht, dass die vom BKA glaubten, er sei weniger gefährdet als irgend so ein Bundespolitiker. Sogar Professor Michelsen hatte die Einladung erst einmal angenommen. »Wo bei natürlich immer noch etwas sehr Wichtiges dazwischenkommen kann, lieber Herr Walder«, schrieb er per Mail. Zum Beispiel ein Abendessen mit dem Bundespräsidenten im Schloss Bellevue, auf das er seit Jahren hoffte. Es kam tatsächlich dazwischen.
Mir war die Gästeliste egal. So sehr ich auf die Einführung des »offenen Interviews« gedrängt hatte, um die Zeitung (und mich als ihren Chefredakteur)
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