Die Praktikantin
endlich jenseits der Stadtgrenzen bekannt zu machen, so wenig interessierten mich jetzt die Promis. Batz freute sich, dass der Präsident der Industrie- und Handelskammer, der Vorstandsvorsitzende der Trading AG und der |109| Intendant eines großen Hörfunksenders zusagten (alles zufällig auch Parteifreude). Mich kümmerte nur ein Gast.
»Badischer Kurier, Zentrale.«
»Johann Walder, guten Tag. Ich hätte gern mit Frau Renner gesprochen.«
An ihr Handy war sie nicht gegangen. Überhaupt hatten wir seit mehr als drei Tagen nicht miteinander gesprochen.
»Ich habe keine Frau Renner in meiner Telefonliste. Wo soll die denn arbeiten?«
»Das ist meine, ähm, das ist eine Praktikantin.«
»In welchem Ressort?«
Der Pförtner musste mich für einen dieser tumben Leserbriefschreiber halten, der sich persönlich darüber beschweren will, dass man den Begriff Rauchwaren nicht als Synonym für Zigaretten benutzen darf.
»Ich weiß nicht genau. Vielleicht im Lokalen?«
»Ich verbinde.«
Sechs Minuten später hatte ich sie gefunden. Im
Wochenend-Magazin
.
»Herr Walder, schön, dass Sie sich mal wieder melden. Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen.«
Hättest ja auch mal anrufen können! Oh, hatte sie ja auch getan, die letzten beiden Male.
»Wie könnte ich meine erste Praktikantin vergessen? Hatte nur ein bisschen viel zu tun in der letzten Zeit.«
So kann man es natürlich auch nennen, wenn man nahezu jeden Abend damit verbringt, einen weiteren Agatha-Christie-Roman zu lesen. Der Inhaber des Wützener
Lektüre-Lädchens
begrüßte mich inzwischen mit Namen.
»Das verstehe ich. Die spannen mich hier auch ganz schön ein.«
Spannen mich hier ein, eine Formulierung aus dem frühen 18. Jahrhundert. Typisch Elisabeth.
»Gibt es denn etwas Besonderes?«
|110| Ja, dein Lachen und unsere Gespräche fehlen mir. In den vergangenen Tagen hatte ich mich manchmal sogar nach Rita Bolzen gesehnt, um nicht den ganzen Tag nur von Männern umgeben zu sein. Die Schülerpraktikantinnen waren nach einer Woche wieder verschwunden, und ehrlich gesagt zählten sie auch nicht. Die Tage in der Redaktion waren hart ohne Elisabeth, die Abende erbärmlich. Während sie in Wützen gewesen war, hatte ich fast vergessen, dass ich auch in Wützen war. Jetzt gab es nichts mehr, was zwischen mir und der Wahrheit stand. Die Stunden in der Redaktion verbrachte ich mit Männern, die sich noch mehr hassten als mich, die Nächte mit Hercule Poirot. Ob ich den Detektiv so gern mochte, weil er so war wie ich, ein schrulliger, einsamer Mann, der viel Zeit zurückgezogen in dunklen Zimmern zubringt (angeblich, um nachzudenken) und mit Frauen so viel zu tun hat wie die Hypo Real Estate mit einer solide geführten Bank? War die Geschichte des Hercule Poirot meine Geschichte?
»Herr Walder, sind Sie noch dran?«
Neigte Hercule Poirot nicht auch immer zu kurzzeitigen Aussetzern und langen Gesprächspausen?
»Entschuldigen Sie, Elisabeth. Was hatten Sie noch einmal gesagt?«
»Ich hatte gefragt, ob es etwas Besonderes gibt.«
Ja, dein Lachen … nicht schon wieder. Walder, reiß dich zusammen. »Natürlich, sonst würde ich ja nicht anrufen. Ich wollte Sie zu einem wichtigen Termin am nächsten Dienstag einladen, Elisabeth.«
»Oh, ich …«
Eigentlich könnte ich doch jetzt sagen: Wollen wir beide nicht einfach mal schön essen gehen, das blöde Sie endlich vergessen und dann …
»… ich weiß gar nicht, ob ich nächsten Dienstag kann.«
Sie weiß was nicht? Hallo, hier ist nicht irgendein Mitpraktikant am Telefon. Hier spricht ein Chef.
|111| »Sie sollten sich das nicht entgehen lassen: Tolle Weine, gute Gespräche und …«
»Herr Walder, also, nicht, dass ich nicht gerne mit Ihnen …«
Jetzt aber schnell. »… und Heinrich Ostwasser. Ich wollte Sie zu unserem ersten offenen Interview einladen, ich habe Ihnen doch bestimmt schon davon erzählt. Zur Premiere kommt der Spitzenkandidat der FDP. Da können Sie eine Menge für Ihre weitere journalistische Karriere lernen.«
»Ach so.«
Klang das etwa ein wenig enttäuscht? »Und?«
»Ich muss mal meinen Chef hier fragen. Ich melde mich.«
Fünf Minuten später bekam ich eine SMS: »Bis Dienstag. Ich nehme den Zug um 15 Uhr, bin kurz vor 19 Uhr in Wützen. Freue mich.«
Und ich erst.
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|112| SIEBZEHN
Eigentlich hatte ich Sonja und Beate nichts von Herrn Walders Einladung erzählen wollen. Die beiden machten sich sowieso seit Tagen über mein, wie sie sagten,
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