Die Praktikantin
»spezielles« Verhältnis zu meinem Ex-Chef lustig. »Das ist mir nicht geheuer, dass du immer noch mit dem telefonierst. Sei bloß vorsichtig, wer weiß, was der von dir will«, hatte Sonja gesagt, als ich einmal während eines gemeinsamen Sushi-Essens für eine halbe Stunde im Wohnzimmer verschwunden war, um mit Walder zu sprechen.
Ich war bei ihr eingezogen, weil sie nur eine Viertelstunde von der Redaktion des
Badischen Kuriers
entfernt wohnte und ich nichts bezahlen musste. Wir kannten uns aus meinem ersten Semester an der Uni. Sonja war die Tutorin gewesen, die mich und andere Studienanfänger betreut hatte. Wir verstanden uns sofort, obwohl sie damals schon an ihrer Doktorarbeit schrieb und fast zehn Jahre älter war als ich. »Wir sind seelenverwandt«, sagte sie immer, und damit hatte sie recht.
Sonja wohnte nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten, einem Professor für Sinologie, der von einem Kongress aus Hongkong mit einer chinesischen Frau zurückgekehrt war, zusammen mit Beate und deren Freund Kurt auf einem umgebauten Bauernhof auf dem Land. Die drei hatten einen kleinen Verlag gegründet und gaben vor allem esoterische Literatur heraus. Meine Mutter sorgte dafür, dass die Neuerscheinungen in der
Welt von Buddha und Shiva
immer einen Platz im Schaufenster bekamen. Der von Kurt geschriebene Ratgeber »108 Regeln für ein besseres Leben« hatte es sogar in die
Spiegel
-Bestsellerliste geschafft.
Gestern war der Erfolgsautor zu einer Lesereise nach Ostdeutschland aufgebrochen, so dass wir Frauen das Haus zum |113| ersten Mal für uns allein hatten. Sonja hatte vorgeschlagen, wie früher – »eher wie sehr viel früher« – eine Pyjamaparty zu machen und »ganz, ganz viel Erdbeerbowle zu trinken«. Sie saß schon mit Beate in ihrem ältesten Schlafanzug im Wohnzimmer, als ich, durch das Gespräch mit Walder aufgehalten, aus der Redaktion nach Hause kam.
»Für eine Praktikantin musst du ganz schön lange arbeiten«, rief Sonja mir zu. »Beeil dich, wir haben die Bowle schon fast zur Hälfte geleert.«
»Ich bin gleich da«, sagte ich. Ich zog mein uraltes Schulshirt mit der Aufschrift »Abi? Ich doch nicht!«, eine grüne Jogginghose und die dicken roten Socken an, die Oma mir gestrickt hatte. Mir würde sonst bestimmt kalt werden, trotz Erdbeerbowle.
»Entschuldigung«, sagte ich, »aber ich habe noch mit meinem Chef gesprochen.«
»Wie, macht sich gleich der Nächste an dich ran?«, fragte Beate und schenkte mir Bowle in einen Zahnputzbecher ein. »Trin ken wir auf Deutschlands begehrteste Praktikantin!«
»So ein Quatsch, nein, mein neuer Chef hatte heute frei. Der Herr Walder von der Wützener Zeitung hat mich angerufen und …«, ich trank den Rest der Bowle, »… eingeladen.«
»Jetzt wird es interessant, Engelchen.« Sonja schob sich schwungvoll Erdnussflips von der hohlen Hand in den Mund, mindestens drei prallten von ihrem Kinn auf die Biene Maja, die über ihre Brüste flog, und landeten auf dem Fußboden. Dort wartete Tipsi, Kurts Rauhaardackel, auf alles, was von oben kam. Eine kleine Schale Bowle hatte er schon ausgeschleckt.
»Was hat er gesagt? Wozu hat er dich eingeladen? Was will er von dir? Erzähl …«
»Na ja, so spannend ist es nun auch wieder nicht …«
»Nee, ist richtig langweilig, wenn ein Chef jeden zweiten Tag mit seiner ehemaligen Praktikantin telefoniert und sie dann zu einem romantischen Dinner einlädt, wo er ihr …«
|114| »So oft telefonieren wir überhaupt nicht, Beate.« Mein Zahnputzbecher war schon wieder voll. Ich steckte Tipsi zwei Erdbeeren ins Maul. »Und zum Glück hat er mich nicht zu einem Essen, sondern zu einem Interview mit dem Ostwasser eingeladen.«
»Dem FDP-Fritzen? Dein Ex-Chefredakteur ruft dich an, damit du mit ihm gemeinsam den Ostwasser interviewst? Halleluja …« Beate schmiss zwei Flips in die Luft und versuchte, sie mit dem Mund aufzufangen. Tipsi schnappte sich beide.
»Nein, da sind auch noch ein paar andere dabei. Wichtige Unternehmer und Politiker aus Wützen und so.«
»Und die kleine Elisabeth Renner, alles klar, alles völlig normal, fast schon eine Selbstverständlichkeit. Am Ende will dein Chef dich den anderen ja bloß als seine neue Verlobte vorstellen, und der Ostwasser wird Trauzeuge!« Sonja zog einen ihrer Ringe ab, wollte ihn mir an die Hand stecken, schaffte es aber erst im dritten Versuch. »Ich brauche dringend mehr Bowle!« Beate musste so lachen, dass sie sich an einer Erdbeere verschluckte und
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