Die Praktikantin
betrunken, und als er näher kam und ich plötzlich seine Hand unter meinem Rock hatte, habe ich mir gesagt: Was |117| soll’s, du hast schon mit mieseren Männern und aus schlechteren Anlässen geschlafen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich damals auch keine Wahl. Wenn ich nicht mit ihm ins Bett gegangen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich einen neuen Doktorvater suchen können.«
»Und so?« Meine Frage klang, als würde ich mir die gleiche Szene mit Walder vorstellen. Dabei konnte ich längst nicht mehr klar denken.
»Und so hatte ich ihn in der Hand. Wann immer ich nicht weiterwusste, musste ich ihn nur anrufen. Wir haben uns noch zwei, drei Mal getroffen, um, wie er immer sagte, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Für mich wurde es von Mal zu Mal unangenehmer, weil der Herr Professor leider seltsame Vorstellungen von bestimmten Dingen hatte. Bei unserem letzten Treffen hat er mich doch tatsächlich gefragt, ob er meinen gebrauchten Slip behalten könnte. Das fand ich so widerlich, dass ich gesagt habe, wir sollten uns künftig nicht mehr privat sehen. Das Ergebnis kennt ihr: Die Dissertation ist zwar gerade noch so durchgegangen, aber als ich mich dann auf eine freie Stelle an seinem Institut beworben habe, hat er mir prompt eine Absage geschickt.«
Sonja holte tief Luft, setzte den Zahnputzbecher an und leerte ihn in einem Zug.
»Auf ex, genau wie früher. Du siehst, Elisabeth, am Ende hatte nicht ich ihn in der Hand, sondern er mich. So geht das, wenn man sich mit seinem Chef einlässt.«
Mir war ein wenig mulmig geworden vor dem Treffen mit Walder, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass er mich im Beisein eines Spitzenpolitikers um meinen Slip bitten würde. Auf jeden Fall würde ich keinen Rock anziehen.
Beate sah offensichtlich, dass ich hinter dem leicht glasigen Bowlenblick nachdenklich wirkte.
»Dein Herr Walser …«
»Walder, Beate!«
|118| »… also dein Chef muss ja nicht wie Sonnies Prof. sein, Elisabeth. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass er etwas von dir will, ist groß. Kurt hat mir mal erzählt, dass knapp ein Drittel aller Beziehungen im Büro beginnen. Oder waren es dreißig Prozent?«
Wir konnten Beate gerade noch darin hindern, eine halb volle Flasche Ouzo in die Bowle zu kippen.
»Lasst mich, da ist doch kaum noch etwas drin …«
Sonja nahm ihr die Flasche aus der Hand: »Dass der Kurt dir so etwas erzählt hat, ist doch klar. Der wollte ja auch was von dir, kaum dass du bei dem im Verlag angefangen hattest.«
Auch die Geschichte war mir neu. Beate hatte ihren heutigen Freund als Praktikantin in einem renommierten Buchverlag kennengelernt, wo er Lektor war. Sie durfte für ihn die unverlangt eingesandten Manuskripte vorsortieren, fünf bis zehn Stück pro Tag, »meist völlig wahnsinniges Zeug, das angeblich der Oma und den Eltern und den Freunden so gut gefallen hat, dass es unbedingt in die Bestsellerlisten gehört«. Ein Manuskript, in dem es um die heimliche Liebe eines deutschen Kanzlers zu einer TV-Moderatorin ging, die sich am Ende als bisexuell herausstellt und ihre »Erlebnisse mit dem ersten Mann im Staat« dann ihrer neuen Freundin, der Chefredakteurin eines Lifestylemagazins, verkauft, hatte Beate und Kurt zusammengebracht.
»Wir haben uns die besten Passagen abends gegenseitig vorgelesen, und als niemand mehr im Büro war und der Kanzler sich gerade abmühte, seine TV-Dame endlich zum Höhepunkt zu bringen, hat er mich geküsst. Der Rest«, Beate hob ihren Zahnputzbecher, um mit uns anzustoßen, »ist Geschichte.«
Es war kurz vor eins, ich wurde müde und hätte längst Martin anrufen müssen. Aber meine beiden Pyjamafreundinnen ließen mich nicht gehen.
»Du bleibst. Nicht, dass es hinterher heißt, wir hätten dich nicht gewarnt«, sagte Sonja.
Beate erinnerte sich an eine weitere »fatale Affäre«, die eine Bekannte mit dem Sohn ihres Vorgesetzten gehabt hatte. Sonja |119| fiel der Abteilungsleiter in der Firma ihres Vaters ein, der es in einem Ausbildungsjahr mit zwei Lehrlingen getrieben hatte und beide Male erwischt worden war.
Als ich um 3 Uhr endlich ins Bett torkeln durfte, war mir nicht nur wegen des Ouzos, den Beate schließlich doch noch – und das pur – in unsere Zahnputzbecher geschüttet hatte, schwindlig. Ich hatte das Gefühl, dass die Arbeitswelt nur aus Chefs bestand, die ihre Untergebenen ins Bett zerren wollten. Und ich hatte jetzt wirklich Angst. Angst vor dem nächsten Treffen mit Walder.
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