Die Praktikantin
einer Mail an mich. »Immer sind Sie vorn dran. Das ist guter Journalismus. Glückwunsch! Sie sind klarer Nachrichtenführer.«
Achtzehn Stunden später waren wir es nicht mehr.
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|210| NEUNUNDZWANZIG
Ich bekam Sonja nicht wach. Wir hatten nach ihrem Bad noch lange vor dem Computer gesessen und waren jeden Text von Hanna Giese auf versteckte Hinweise durchgegangen, ohne irgendetwas zu finden. Wann immer Johann Walder mich oder ich ihn anrief, drückte Sonja auf die Lautstelltaste, hielt sich den Finger vor den Mund und malte kleine Herzen auf den Rand der Schreibtischunterlage. Als es 3 Uhr geworden war und Walder mir, also uns, gute Nacht gesagt hatte, rollte sie mit den Augen und seufzte: »Das ist alles so romantisch. Der Chefredakteur und seine Praktikantin jagen den bösen Verführer. Heimliche Telefonate bis in den frühen Morgen, konspirative Treffen bis zum großen Showdown. Sie retten die Ehre einer Unschuldigen und heiraten am Ende selbst. Elisabeth«, sie nahm mein Gesicht in die vom Badewasser aufgeweichten Hände, »ich komme mir vor wie in einem Film. Einem sehr schönen Liebesfilm. Habt ihr noch irgendwo eine Flasche Rotwein?«
Ich wollte nichts mehr trinken, aber auch keine schlechte Gastgeberin sein. Ich suchte in Papas Weinkeller, fand aber nur den obligatorischen weißen Landwein. Er musste reichen um Viertel nach drei. Als ich wieder hoch in mein Zimmer kam, saß Sonja vor meinem Computer. Sie hatte eine E-Mail geöffnet.
»Das musst du lesen, Elisabeth, das musst du sofort lesen«, sagte sie. »Allerdings erst, wenn ich fertig bin …«
Ich drückte ihr Landwein und Korkenzieher in die Hand und schob sie ein Stück zur Seite. Die Mail auf dem Bildschirm war von Walder. Er hatte sie vor unserem Telefonat abgeschickt. Ich konnte sie nicht in Ruhe lesen, weil Sonja schon nach zehn Sekunden wieder dazwischenbrabbelte.
|211| »Also, Engelchen, wenn das keine Liebeserklärung ist, dann habe ich nie eine Liebeserklärung bekommen. ›Ich habe Sie nicht als Untergebene, sondern als Vertraute, entschuldigen Sie die Anmaßung, als Freundin gesehen.‹ Das ist so rührend, so niedlich, so entwaffnend ehrlich. Der Typ ist echt komplett in dich verknallt, Elisabeth, und er kann wirklich schreiben.«
Ich war endlich bis zum letzten Satz gekommen und wunderte mich, dass die E-Mail so abrupt endete.
»Was soll das heißen, Sonja: ›Ich …‹, und dann ist Schluss.«
»Mensch, Elisabeth, ist doch klar: Ich liebe dich, soll das heißen, was denn sonst. Das muss er doch nach so einer Mail nicht mehr ausschreiben, das wäre für einen wie den doch viel zu platt. Ich bin mir sicher, dass der Walder deine Nummer neun wird.«
Sonja, Beate und ich hatten am Vorabend unserer inzwischen legendären Pyjamaparty eine sehr private Volkszählung gemacht. Sonja wollte wissen, mit wie vielen Männern wir schon im Bett gewesen waren, und ehe ich noch verschämt gegen so eine Frage protestieren konnte, hatte Beate geschrien: »Zählt nur reinstecken?« Beate kam auf eine Zahl zwischen vierunddreißig und sechsunddreißig, Sonja erinnerte sich an dreiundzwanzig, und ich, ich erzählte mit einem Kopf, dessen Farbe selbst Heinz-Tomatenketchup hätte verblassen lassen, dass es bei mir acht waren.
»Walder wird die Nummer neun, Walder wird die Nummer neun«, sang Sonja zur Melodie von »Ich wär so gerne Millionär« von den Prinzen, während ich seine Mail schloss und dabei bemerkte, dass er mir kurz darauf eine zweite geschrieben hatte. Sie las sich viel sachlicher und distanzierter, hatte aber wenigstens ein Ende. Er hatte mir ein Praktikum bei den
Metro-News
besorgt. Ich nahm Sonja den Landwein weg und zeigte ihr die zweite Nachricht.
»Und was sagst du jetzt, du Romantikexpertin?«
»Das passt nicht zu ihm, die beiden Mails passen nicht zusammen. Vielleicht wollte er dir eine offizielle und eine inoffizielle |212| schreiben.« Sonja gluckste. »Die zweite Mail ist eine Enttäuschung, echt.«
Das fand ich auch. Ich hatte alles, was ich mir von Walder erwartet hatte, ein Praktikum bei den
Metro-News
und die Aussicht auf ein Volontariat. Aber irgendwie war mir das in diesem Moment nicht mehr genug. Ich druckte nur die erste Mail aus.
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|213| DREISSIG
Es war Batz, der mir die Zeitung auf den Tisch legte. »Na, heute schon den Rundblick gelesen?« Der
Rundblick
war eines der fünf Anzeigenblätter, die in unserem Einzugsbereich erschienen. Eine furchtbare Zeitung, gemacht von einem ehemaligen
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