Die Praktikantin
scharf, um ein Foto machen zu können, falls eine junge Frau aus dem Haus herauskommen sollte, da öffnete sich die Tür. Heraus kam – Herbert. Er sah sich kurz um, ich duckte mich hinter das Lenkrad. Er stapfte die paar Schritte zum Gartentor, setzte sich in seinen Mercedes und verschwand.«
»Hat er den eigentlich schon länger?«
»Wen?« Bolzen sah zum ersten Mal wieder auf.
»Na, den Mercedes.«
»Nein, ich glaube, erst ein halbes Jahr. Hat ihn gekauft, nachdem sie ihm damals seinen Audi gestohlen haben. Wieso?«
»Nur so. Und Sie haben Bilder gemacht?«
|216| »Ja, fast automatisch, ohne nachzudenken. Vier Hochformate, immer mit Herbert drauf. Auf einem kann man das obere Fenster sehen. Und dahinter eine Frau, die leicht die Gardine zur Seite zieht und Herbert hinterherschaut. Das ist sie wohl, die Karin Meyer. Oder wie auch immer sie heißt.« Sie zeigte mir die Fotos auf dem Display ihrer Kamera.
»Sie heißt in Wirklichkeit Hanna Giese, Frau Bolzen.«
»Hanna Giese? Der Name kommt mir bekannt vor.«
»Sie war vor etwas mehr als einem Jahr Praktikantin bei der Wützener Zeitung.«
»Genau. Sie war die letzte Praktikantin. Danach hat der Chef keine mehr genommen. Was ich sehr schade fand, weil Frauen oft die besseren Journalistinnen sind und …«
Auf eine Lehrstunde in Feminismus konnte ich jetzt gut verzichten.
»Frau Bolzen, warum haben Sie mir die Bilder nicht gleich gezeigt?«
Sie sah wieder gen Boden, auf dem unzählige Fotoausdrucke lagen.
»Ich wollte nicht, dass Herbert Ärger kriegt. Es ist doch bald Betriebsratswahl, und ich bin auf jede Stimme angewiesen. Er hat immer zu mir gehalten und …«
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte: »Wie sind die Fotos dann zum Rundblick gekommen?«
»Keine Ahnung, Herr Walder. Ich hatte sie die ganze Zeit auf der Kamera, habe sie extra nicht ausgedruckt oder ins System eingespeist.«
»Und die Kamera?«
»Die lag wie immer in meinem Fotoeck.«
»Okay, Frau Bolzen. Das reicht erst mal. Bleiben Sie bitte hier, bis ich Sie rufe.«
Ich verließ den Raum, sagte alle Termine für den Rest des Tages ab und bat Elisabeth, mich mit dem Chef des
Rundblicks
zu verbinden, weil Frau Schmidt noch nicht da war. Zehn Minuten |217| später gab sie mir von Grainers Schreibtisch aus ein Zeichen: »Ich habe ihn dran, Herr Walder.« Dann, sehr offiziell: »Mo ment , ich verbinde mit Herrn Walder.«
»Sonnemann.«
»Walder. Ich will es kurz machen. Sie haben in dem, was Sie eine Zeitung nennen, Fotos gedruckt, die uns gehören und die wir nicht freigegeben haben und niemals freigegeben hätten. Sie wissen, was das bedeutet?«
»Das bedeutet, dass Sie offensichtlich keine Ahnung haben. Diese Fotos sind uns ganz normal per E-Mail angeboten worden. Wir haben uns auch erst gewundert, als wir als Absender die Adresse Ihres Käseblatts sahen, haben dann aber gern zugegriffen. Ist doch eine recht schöne Geschichte für ein kleines Anzeigenblatt, nicht wahr, Herr Walder? So etwas erwartet man normalerweise in einer Tageszeitung. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass wir eine wichtige Nachricht vor Ihnen haben. Außerdem haben wir peinlichst genau darauf geachtet, dass die junge Dame, die dem Herrn auf dem Foto so traurig hinterherschaut, nicht zu sehen ist.«
Tatsächlich war aus Bolzens extremem Hochformat im
Rundblick
beinahe ein Quadrat geworden. Grainer hatte man damit noch weiter in den Mittelpunkt gerückt.
»Herr Sonnemann, ich will nur eins wissen: Wer hat Ihnen die Fotos geschickt?«
»Das sollten Sie doch besser wissen als ich, verehrter Herr Walder. Sie sind schließlich der große Chefredakteur. Ich bin nur ein ehemaliger Gastwirt. Schönen Tag noch.« Er legte einfach auf.
Ich schaute Elisabeth an. Sie sah ratlos zurück. Batz legte mir ein Fax auf den Tisch. Es kam von Herbert Grainer. Er meldete sich krank. Natürlich. Ich würde ihn später anrufen müssen. Es würde ein unangenehmes Gespräch werden.
Doch vorher musste ich den Postausgang des redaktionellen Mailsystems durchsehen. Elisabeth hatte während meines Gesprächs |218| schon angefangen. Knapp zweihundert E-Mails hatten gestern das Haus verlassen, aber keine war dabei, die an den
Rundblick
adressiert war. Auch unter den gelöschten Mails: nichts. »Wenn die Fotos wirklich hier rausgegangen sind, hat einer die Mail sofort danach vernichtet«, sagte Elisabeth. »Dann können wir nichts mehr machen, außer …«
»Bevor hier alle zu Detektiven werden, sollten wir vielleicht auch
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