Die Praktikantin
dort, aber auch die Möglichkeit eines sich anschließenden Volontariats, können wir jederzeit besprechen.
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Ich hoffe, das alles entspricht Ihren Vorstellungen und entschädigt Sie für viele der Anstrengungen, die Sie in den vergangenen Wochen und Monaten gehabt haben.
So würde es gehen. Aus dem letzten Satz konnte Elisabeth, aber eben nur Elisabeth, herauslesen, dass es mir nicht nur um ihre Karriere und mein Versprechen, sondern auch um eine Entschuldigung ging. Ich drückte zwei Mal auf Senden, weil die Mail nach dem ersten Versuch komischerweise noch da war, trank den letzten Schluck Prosecco, machte das kleine Licht an meinem Schreibtisch und die Deckenbeleuchtung aus. Der Kapitän ging als Letzter von Bord. Und er ließ den Fernseher an. Das
RTL
-Nachtjournal hatte begonnen. Hinter Heiner Bremer sah ich den Ausriss einer Titelseite, die ich nur zu gut kannte …
Als ich in mein Apartment kam, war ich so aufgedreht wie lange nicht mehr. Ich konnte nicht schlafen, zumal im Wützener
Lektüre-Lädchen
gegenüber die »Lange Nacht des Lesens« lief. Abwechselnd wollten sich Schüler aus dem neuen
Harry Potter
vorlesen, dem meistverkauften Buch in der Geschichte des
Lektüre-Lädchens
. Der Inhaber, den die Kleinen Onkel Schiller nannten, weil er genauso hieß wie der Dichterfürst, aber mit Vornamen Wolfgang (!), hatte zweihundert Jungen und Mädchen eingeladen.
Ich war auf dem Rückweg kurz in den Laden gegangen und hatte Onkel Schiller gefragt, ob große Kinder bei ihm noch ein Buch kaufen könnten. Er hatte mich angegrinst und gesagt: »Aber Sie wissen schon, dass Hercule Poirot auch in diesem
Harry-Potter -Band
nicht mitspielt, oder, Herr Walder?«
»Mon ami«, sagte ich, »das wusste ich nicht. Dabei ist er doch auch ein Zauberer, oder?«
Ich ging direkt an das Krimiregal, in dem die Auswahl an Romanen von Agatha Christie in den vergangenen Wochen stark gestiegen war. Ich sah wie immer erst auf die Rückseite, wo über dem Klappentext entweder »Ein Hercule-Poirot-Roman« oder »Ein Miss-Marple-Roman« oder gar nichts stand. Ich fand nur |203| einen Hercule-Poirot-Roman, den ich nicht gelesen hatte und den ich eigentlich nie lesen wollte:
Tod auf dem Nil
. Ich hatte die Verfilmung bestimmt an die zwanzig Mal gesehen, fand Peter Ustinov als Poirot glänzend und alle Opfer und Täter und möglichen Opfer und möglichen Täter gruslig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es in diesem Buch irgendetwas gab, was ich nicht kannte, und hatte deshalb bisher die 8,95 Euro für Geldverschwendung gehalten. Jetzt gab ich Onkel Schiller angesichts einer drohenden schlaflosen Nacht 10 Euro, nahm den Roman und sagte einem Jungen, der mich verdutzt anschaute, weil ich nicht den nächsten Teil der Potter-Serie, sondern so ein schmales Bändchen in der Hand hielt: »Das hier, das ist richtige Literatur. Aber dafür bist du noch zu jung.«
Ich war auf Seite 86 angekommen, als mein Blackberry klingelte. Ich hatte einen neuen Handyton, eine Fuge von Bach. Es war nach eins, fast halb zwei. Die Nummer kannte ich.
»Elisabeth.«
»Herr Walder, es tut mir so leid. Aber ich musste Sie gleich anrufen.«
»Kein Problem, ich schlafe noch nicht, wie denn auch, nach so einem Tag. Was gibt es denn? Haben Sie meine E-Mail gelesen? Oder haben Sie schon wieder ein Kind gefunden?«
»Nein, und welche E-Mail?«, sagte Elisabeth. Es klang irritiert. »Nein, Herr Walder, es geht um etwas anderes. Ich habe mal gegoogelt, was es so für Journalistenpreise gibt …«
»Prima, und sind …«
»… und dann auch mal alles eingegeben, was mir im Rahmen der Recherche über den Weg gelaufen ist …«
Zum Glück schrieb sie nicht, wie sie sprach.
»… unter anderem auch den echten Namen unserer jungen Mutter.«
Ich hatte ganz vergessen, dass wir den ja wussten.
»Wie war der Name noch mal?«
»Hanna Giese, Herr Walder, Hanna Giese.«
|204| »Ja, ich erinnere mich. Und, was hat die Suche gebracht? Irgendwelche neuen Erkenntnisse, irgendeine gute Story?«
»Herr Walder, ich habe sechs Texte gefunden, die Hanna Giese geschrieben hat.«
»Und?«
»Die sind alle in unserer Zeitung erschienen. Herr Walder. Ich glaube, Hanna Giese war Praktikantin bei der Wützener Zeitung.«
Ich fand die Artikel mit ihrem Namen sofort im Internet, dazu nach längerem Suchen noch zehn weitere, unter denen ihr Kürzel stand. HG. Sie hatte über ein Theaterstück an einer Schule geschrieben, über steigende Benzinpreise und war sogar auf einer
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